Schon der Beginn ist mysteriös und unwirklich. Alleine am Pier mit Blick auf einen alten, verfallenen Leuchtturm. Eine sonore, leise Stimme beginnt einen Brief zu lesen (ist es ein Brief oder was hören wir wirklich?), der mit „Dear Esther“ beginnt. Ego-Perspektive. Leichte optische Verzerrungen, wenn der Blick nach links und rechts schweift. Wie in einem Traum. Das Gefühl, dass alles, was hier noch passieren mag, nicht real ist, wird durch die mächtige Ruhe nur noch verstärkt. Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch die dunkle Wolkendecke. Plötzlich blinkt es am Horizont, wohl ein Funkturm. Was um Gottes Willen hat er hier zu suchen? Ist er das Ziel? Wo bin ich? Was soll das? Vor uns ein Pfad. Die Stimme des Mannes im Hintergrund erzählt uns von seinem Gefühl, diese Insel selbst geboren zu haben. Unbehagen. Im Hintergrund spielen Streicher und Klavier leise eine melancholische Melodie. Den Pfad hoch auf den Hügel gelaufen. Als Lohn wartet ein wunderschönes Panorama, ein herrlicher Blick auf das Meer, die Sonne, die schnell vorbeiziehenden Wolken. Und immer wieder den Radioturm im Blick.

Auf dem Weg begegnen wir Höhlen mit phosphorfarben bemalten Wänden. Von weiten sehen sie aus wie Pflanzenranken, aus der Nähe könnten es auch mathematische Gleichungen sein, die einem kranken Hirn entstammen. Später ein Sprung in die Tiefe, einen Weg gab es nicht mehr. Die Stimme erzählt von einem skandinavischen Hirten, der nahe den Höhlen starb. Und wer ist der Einsiedler, wie passen die immer enger miteinander verstrickten Erzählstränge zusammen? Ist Esther bei einem Autounfall gestorben? Warum schreibt ihr der Mann das alles? Es geht immer weiter voran, in Richtung des Radioturms. Es scheint, als würden wir ihn nie erreichen.

Dear Esther ist kein Spiel, sondern ein einmaliges Erlebnis. Man kann Wege und Pfade entlangschreiten und mit der linken Maustaste zoomen. Und man kann zuhören, staunen und sich berauschen lassen. Sonst gibt es nichts zu tun. Diese Welt ist das Spiel und sie ist wunderbar gestaltet, modelliert und vertont. Ihr braucht ein bisschen Zeit, offene Augen und Ohren sowie einen wachen Geist. Dear Esther ist nur bei Steam als Download für 7,99 Euro erhältlich. Mich freut es aus tiefstem Herzen, das sich dieses kleine Wunderwerk vorgestern innerhalb der ersten sechs Stunden so gut verkaufte, dass es jetzt schon profitabel ist.