Langsam wurde es mal wieder Zeit, sich in Chernarus umzuschauen. Nach meiner langen Wanderung war ein wenig die Luft raus. Meiner Meinung nach stagnierte DayZ und wenn es das nicht tat, machte es Rückschritte. Ein wenig übel nahm ich dem Team um Dean Hall & Co. damals, dass sie es nicht schafften, die spürbar greifende Dauerbedrohung, die in der Mod für solch eine mächtige Spannung sorgte, hinüber in die DayZ Standalone zu retten. Auch der zweiten Stärke beraubte sich das Spiel selbst und das ohne Not: Unvorhergesehene Dramen sind absolute Mangelware geworden. DayZ war immer dann am stärksten, wenn es hinterrücks von einer auf die andere Sekunde ein neues Spiel wurde: Vom gemütlichen Looten zum knallharten und adrenalingetränkten 1 vs. 1-Shooter oder vom netten Spaziergang zum Stealth-Bomber unter lauter (damals noch tödlichen) Zombies.

Dean Hall verabschiedete sich längst von seinem Baby und viele alte Fans suchten mittlerweile ebenso das Weite. Kann passieren, wenn sich ein Spiel schon gefühlte fünf Jahre als Alpha Version im Steam-Early Access befindet. Trotzdem zog es mich mal wieder nach Chernarus; ein wenig aus alter Verbundenheit und auch aus einer gewissen Neugierde heraus, ob DayZ auf seine alten Early Access-Tage nicht doch noch mehr zu bieten hat, als ich befürchte. Los ging es mit einem Respawn nahe Elektrozadovsk, kurz Elektro, und ich beschränkte mich bei meinem ersten Besuch darauf, mir das Umland und die Stadt selbst anzuschauen. Die Reise ins Hinterland und einen krachigen Trip zum Airfield zwischen Balota und Chapaevsk spare ich mir für später auf.

map dayz elektro

Mit Blick auf den Ausschnitt der DayZ-Map sticht die Rotlastigkeit in den Städten sofort ins Auge. Kein Wunder, denn zumindest eine Hieb- und Stichwaffe lässt sich unabhängig von der Location innerhalb weniger Minuten finden. Das war mal anders. Auch Fahrzeugteile gibt es mittlerweile, aber noch soll mich das nicht interessieren - das hat es mich auch kaum in der Mod damals. Trotzdem: Mal ein wenig durch Chernarus zu düsen, kann so falsch nicht sein. Kleine Frage an wissende Leser: Kann man sich eigentlich auch schon einen Hubschrauber basteln? DAS wäre natürlich etwas ganz Feines.

Mein erster Eindruck von Chernarus war bei dieser Tour erst einmal durchaus positiv: Die Engine wurde nicht verschlimmbessert, auch wenn die Steuerung in Gebäuden oder die Animationen weiterhin sehr hakelig rüberkommen, aber das zähle ich getrost zur guten, alten DayZ-Folklore und lasse es gut sein. Die größten Schritte nach vorne macht DayZ bei der Spielwelt allerdings durch Handarbeit. An vielen Stellen erkannte ich Elektro kaum wieder: Das Hafengelände wurde erweitert, der Stadtkern wurde neu modelliert und zusätzliche Gebäudetypen, wie etwa eine Schule, ebenso hinzugefügt. Keine Frage, was die Spielwelt betrifft, leistet Bohemia sehr gute Arbeit.

dazy revisited (2)

So gut sogar, dass ich bei meiner Runde um Elektro herum ein schlechtes Gewissen bekam, weil ich diese mittlerweile mit großer Liebe zum Detail erbaute Welt einfach mal so als gegeben betrachte. Das ist nicht fair. Wäre die DayZ Standalone gestern frisch und ohne Abnutzungserscheinungen veröffentlicht worden, würden die Unterkiefer reihum hinunterklappen aufgrund der Brillianz, die Bohemia mit dem Design von Chernarus beweist. Und deswegen bleibt die DayZ Standalone weiterhin mein liebster Walking Simulator.

Erst nach und nach ploppten vor meinem inneren Auge die Fragezeichen auf. Vier Fünftel meiner Spielzeit verbrachte ich auf einem recht leeren Server, wechselte danach aber mehrmals, um zu verifizieren, was ich für kaum möglich hielt: Die Verteilung vom Loot ist mittlerweile eine Katastrophe. Sollte DayZ nicht schon vor knapp einem Jahr wieder mehr in Richtung Survival geschubst werden durch Verknappung der Ressourcen? War da nicht was? Mag ja sein, dass Pupsi Cola & Co. kaum noch zu finden sind, was ich begrüßenswert finde, aber das bringt nichts, wenn in jedem zweiten Haus Obstkonserven herum liegen, die den Durst auch wunderbar löschen. Von knallhartem Survival und Ressourcen-Notstand scheint DayZ mittlerweile Galaxien entfernt zu sein, was mich ziemlich enttäuscht hat. Dabei war ich erst noch konsterniert, weil ich dachte, dass nichts in Elektro zu holen ist, da die Außen-Türen aller Gebäude offen standen - was früher noch ein untrügliches Zeichen für eine abgegraste Umgebung war. Heute bedeutet das nichts mehr.

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Was das Gameplay betrifft, machte sich also eine ordentliche Ernüchterung breit. Dazu später noch mehr, aber erst einmal komme ich zu den neuen Gebäuden: Die Kirche fügt sich einerseits wunderbar in den traditionell recht spartanischen Stil von DayZ ein, versprüht andererseits aber auch orthodoxen Pomp. Gut gemacht, Bohemia. Gefunden habe ich dort übrigens Nähwerkzeug und einen Dosenöffner. Aber keine Waffen.

Die Fabrik bzw. Feuerwehr im Norden von Elektro war bei der Mod damals mein liebster Ort um mir dort eine Schusswaffe zu besorgen. Eine Knarre gab es dort in der Regel immer zu holen und es war mir stets eine adrenalingetränkte Freude, mich an Zombies vorbei ins Gebäude rein und dann wieder hinaus zu schleichen. Viele spannende Momente, inklusive überraschender Besuche von menschlichen Mitspielern, erlebte ich dort und traute meinen Augen kaum, wie sich das Gelände um den Komplex herum veränderte. Da steht nämlich nun noch eine Schule. Neben einem neuen Supermarkt und dem vergrößerten Rand des Stadtkerns. Und in der Schule selbst, die im Detail in den Klassenräumen sehr kleinteilig designt wurde, gibt es sogar eine Turnhalle. Da schau her.

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Und auch hier, in der Turnhalle, finde ich mal wieder eine Obstkonserve. Anders geht es wohl nicht mehr, warum auch immer. Und damit nun endlich zum leidigen Thema Loot: Eine Schusswaffe fand ich am üblichen Ort in der Feuerwehr nicht mehr, aber dafür ganz viele Feuerwehrhelme und Äxte. Und zwar richtig viele, jeweils mindestens sieben bis acht Stück. Warum bloß, frage ich mich, das macht doch keinen Sinn. Im Supermarkt fand ich neben einer Axt mehr als zehn Trinkflaschen. Es häuften sich also an bestimmten Orten einzelne Waren, was in dieser Masse kaum noch mit einer annähernd realistischen Verteilung zu tun hat. Dass nach der Apokalypse in der Feuerwehr noch ein paar Feuerwehrhelme zuviel herum liegen, kann ich noch halbwegs nachvollziehen. Gefüllte Trinkflaschen en masse im Supermarkt aber nicht mehr.

Und so geht es weiter und neben der schieren Masse an Material verstörte mich auch die wilde und wirre Platzierung der Schusswaffen. An ein Gewehr oder eine Pistole zu gelangen, war mal recht knifflig und das war so genau richtig. Es musste an den Airfields, Gefängnissen oder Militärbasen ein nicht zu unterschätzendes Risiko eingegangen werden, um sich bis an die Zähne bewaffnen zu können. In Elektro habe ich innerhalb einer halben Stunde (!) meine Trumpet-Shotgun gefunden und bin zudem noch über eine Blaze 95, ein Izh 43 und zwei Crossbows gestolpert. Das ist zuviel des Guten. Viel zu viel.

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Wobei sich daraufhin die alles entscheidende Frage stellt: Worauf bzw. auf wen sollte ich eigentlich schießen? Auf mindestens fünf Servern innerhalb mehrerer Stunden habe ich insgesamt, sorry, ich muss kurz zählen….äh…null Zombies gesehen. Null. Und das an meinem freien Tag kurz nachdem alle Server nach der Wartung wieder hochgefahren sind. Ganz ehrlich, liebe Leute, so macht DayZ in Ballungsgebieten keine Freude. Der Stealth-Teil des Spiels wurde damit hinfällig und das nimmt DayZ um ein vielfaches mehr, als es dem Spiel gut tut.

Wer an DayZ den Überraschungseffekt liebt, muss also auf volle Server ausweichen und begibt sich damit - vor allem nahe den großen Lootpoints - gefährlich nahe in Richtung Multiplayer-Shooter. Das macht DayZ ein stückweit kalkulierbarer, was nicht unbedingt schlecht sein muss, es aus meiner Sicht aber um die vielleicht größte Stärke beraubt.

Und trotzdem war mein erster Ausflug ins „neue“ Chernarus kein Flop. Sicherlich nicht. Nur mag ich das „alte“ Chernarus lieber, mit all seinen Gefahren und Unwägbarkeiten. Das DayZ im September 2015 erinnert mich eher ein Mittelding aus Gemälde und Walking Simulator-Spielplatz, was auch seinen Reiz hat, aber leider längst nicht mehr für den hohen Adrenalingehalt im Pipi sorgt, wie wir es aus der guten, alten Zeit kennen.