Erleichterung. Vielleicht nicht die stimmigste Emotion, wenn der Abspann eines eigentlich hervorragenden Videospiels läuft, aber so war es nun mal. Gegen Ende zog sich Metal Gear Solid V nicht nur gefühlt endlos hin, sondern trieb die schlechte Gewohnheit, sich selbst zu wiederholen, völlig auf die Spitze. Es war kaum zum aushalten. Aber eigentlich mag ich dieses seltsam schizophrene MGS V wirklich sehr; es ist wunderbar designed und geizt nicht mit neuen Einfällen, obskuren Story-Brüchen und großen Gameplay-Wagnissen. MGS V ist in manchen Momenten größenwahnsinnig und fährt an anderen (und richtigen!) Stellen ganz hervorragend ein paar Gänge herunter. So viel episches Brimborium und so große Zurückhaltung zugleich habe ich jedenfalls noch nie zuvor in einem Spiel erlebt. Mal ganz abgesehen von den klebrig-unangenehmen Altherren-Fantasien des Teams um Mr. Kojima, dessen in MGS V offensiv ausgelebte Profilneurose zeitweise kaum zu ertragen war. Also: Es gibt so viel zu motzen und zu mäkeln, aber auch und vor allem zu loben.
Kurz vorausgeschickt: Obwohl ich alle maßgeblichen Metal Gear-Teile spielte, bin ich kein ausgewiesener Experte der Serie. MGS 4 ist mein Favorit, knapp dahinter kommt Peace Walker und der Rest, joah, den habe ich früher mal gespielt. Eigentlich ganz gerne sogar. Besonders viel von der Jahrzehnte übergreifenden Geschichte blieb trotzdem bei mir nicht hängen. Die wilden Storyschnipsel, die Hideo Kojima auftischt, könnte ich nicht annähernd so gut zusammenfügen, wie Le Don es bei polyneux tat. Das Metal Gear-Konzept, so einzigartig es war und ist, gefällt mir dagegen sehr – und das auch im neuen Gewand. Die sozialkritischen Töne, die (dieses Mal nicht ganz so) ewig langen Cutscenes, die härteren Stealth-Missionen und natürlich der typisch japanisch-infantile Schabernack, der ja nicht fehlen darf; das alles ist einzigartig und die vielen Spielstunden wert.
Metal Gear sprach immer seine eigene Sprache und war eine echte Marke mit Wiedererkennungswert – und daran ändert sich verwunderlicher Weise auch durch MGS V nichts. Obwohl Open World die Schlauchlevel ersetzte und das Aufbauspiel-Element rund um die Mother Base einen unvermutet großen Anteil am Spiel hat. Ganz zu schweigen von den Cut Scenes, die auf annähernd „normales AAA-Format“ schrumpften, was nicht nur meinen Beifall findet, der seltsamen Story aber angemessen ist.
Mit den Jahren entfiel mehr und mehr der „Stealth-Zwang“. MGS V setzt dieser Entwicklung die Krone auf. Abgesehen von den redundanten Stealth-Missionen im letzten Drittel des Spiels und den allerersten Aufgaben, steht es dem Spieler frei, wie er die Missionen bestehen möchte. Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Letztlich passte ich MGS V meiner jeweiligen Stimmung an. War ich geduldig und hatte Zeit, spielte ich den Stealth-Helden. Ging es eigentlich um anderes, dann rief ich unverzüglich die Artillerie. Das wichtigste dabei: Jede Methode bei MGS V funktioniert, wenn sie richtig und zum besten Zeitpunkt eingesetzt wird. Und natürlich – und zum Glück – bietet Stealth immer noch die größten Vorteile, der InGame-Währung sei Dank (auch wenn es schönere Gründe geben könnte).
Wer mag, darf hemmungslos experimentieren. Der obligatorische Pappkarton (kann aufgepimpt werden) bietet beispielsweise ordentliche Vorteile beim Schleichen. Sofern man mit dem Ding nicht zu viel rumhopst. Die Flugunterstützung hilft unter starkem Druck und Beschuss (oder wenn es mal zu lange dauert) und die scharfe Artillerie kann genauso hilfreich sein wie das Betäubungsgas oder der Rauch, es bleibt alles uns überlassen. Mein Credo blieb das möglichst gewaltfreie Vorgehen, aber hey, nobody is perfect und manchmal tat es ganz gut, sich mit der Wumme im Anschlag einfach mal ins Getümmel zu schmeißen. Da Snake bei Beschuss schnell in die Knie geht, war das übrigens oft genug nicht sonderlich clever.
Alle diese Freiheiten verhalten sich extrem stimmig zur Gesamtkonstruktion von MGS V. Die in Afghanistan und Afrika beheimateten Missionen befinden sich einer Art Quasi-Open World. Wer mag, besucht die Mother Base nur sporadisch und bleibt am Boden, dann fühlt sich MGS V – abgesehen von abstinenten NPC – tatsächlich wie ein halbwegs klassischen Open World-Spiel an. Da ich aber gerne auf der Mother Base eine Runde drehte und nach dem Rechten schaute, stellte sich MGS V für mich eher wie ein modernes Hitman-Spiel dar – eben wie gescriptete Missionen in weitläufigem Terrain. Fand ich aber auch gut. Jedenfalls: MGS V ist nicht nur auf die Map bezogen Open World. Zum großen Teil lässt es dem Spieler die Freiheit, wann welche (Neben-)Mission wie gespielt werden soll. Großartig.
Wobei „stimmig“ bitte nicht mit „logisch“ zu verwechseln ist. MGS V fühlt sich nie „Möchte-gern“ an, im Gegensatz zu vielen anderen Fortsetzungen berühmt-profitabler-Serien. Ja, ich meine beispielsweise dich, Assassin´s Creed und zeige mit dem nackten Finger auf diese beknackten Tower Defense-Einlagen in, äh…AC: Brotherhood (ich glaube schon, aber wer soll denn bitte schön alle AC-Spiele auseinander halten können?)? So einen Unsinn gibt es nicht in MGS V. Dafür aber anderen Unsinn, nur stört der nicht. Oder habt ihr viel Zeit bei euren gefangenen Tieren auf der erweiterten Mother Base verbracht, hm?
Zurück zu den Missionen: An sich nichts Neues. Das gilt besonders für die meisten Nebenmissionen á la „Waffenschmied etc. rausholen“. Nett für zwischendurch und immer ordentlich durchkomponiert – aber auch nichts, was mich direkt aus den Socken haut. Bei den Haupt- wie auch den verkappten Pflicht-Nebenmissionen (jahaha, sowas gibt´s tatsächlich in MGS V!) leisteten Kojima & Co. zumeist ganz saubere Arbeit ab. Am unteren Ende der Qualitäts-Skala sind die ordentlich durchgeschüttelten Missionen zu finden, die allseits bekannte Elemente (hier etwas stibitzen, dort jemanden ausschalten) gut miteinander verbinden. Andere Missionen bestechen durch einen ganz eigenen, beinahe poetischen Charme (z.B. Quiet´s Singsang in ihrer ersten Mission; aber zugegeben, das war es dann schon bei ihr mit Poesie.) während die epischen Vertreter betont unauffällig und generisch beginnen, sich dann aber steigern und von Höhepunkt zu Höhepunkt hangeln, wie etwa die Geschichten rund um Skull Face und den Sahelanthropus.
Trotzdem, und da beginnt die Storykritik: Skull Face ist ein schwacher und tendenziell alberner Bösewicht. Die Zorro-Maske und das verbrannt-verätzte-Allerwelts-Dämonen-Gesicht schockten mich nicht wirklich. Man hörte von Skull Face auch zehn Mal üblere Dinge, als im Spiel selbst zu spüren waren. In MGS V ist Skull Face mehr ein Fiesling vom Hörensagen als einer, der durch seine zu beobachtenden Taten für Angst und Schrecken sorgt. Und ein wenig zieht es die recht ernsthafte Hintergrundstory von MGS V, bzw. der kompletten Serie, ein stückweit ins Lächerliche.
Das ellenlange Geschwafel in MGS 4 über die privatisierte Kriegswirtschaft war der Höhepunkt an politischer Ambition von Kojima. Skull Face ist dafür nicht das richtige Gesicht und deswegen wird diese Thematik in MGS V konsequenter Weise nur am Rande berührt. Dafür gibt es – Risiko, Risiko – Kindersoldaten in MGS V. Leider sind sie unter dem Strich nur Vehikel für einen (wenn auch wichtigen) Nebenaspekt der Gesamtstory, was das Lob an Kojima & Co ein wenig dämpft. Wieso überhaupt eine Lob? Es gibt nun mal Themen, die mag niemand anpacken und Kindersoldaten sind natürlich ein solches. Umgesetzt wird es respektvoll in MGS V, schon alleine in dem Sinne, dass es nicht frontal zur Skandalisierung eingesetzt wird. Dass Snake niemals ein Kind erschießen darf, auch nicht in aussichtslosester Situation, also lieber zu sterben hat (vor dem nächsten Start) als selbst ein Kind töten darf, zeigt den moralischen Kompass des Spiels. Wobei es natürlich schrecklich wäre, wenn Snake abdrücken dürfte – jedoch hätte ich das einem Call of Duty in den Jahren bis 2013 durchaus zugetraut.
Die Charakterzeichnung in MGS V ist verglichen mit dem Vorgänger deutlich schwächer ausgefallen. Das gilt für den Big Boss selbst, der mir viel zu wenig spricht, aber auch für den Rest der Bande rund um Ocelot & Co. Der dauerjammende und dabei stets intrigierende Dr. Emmerich sticht da ein wenig heraus, den mag ich – nicht zuletzt aufgrund des hervorragenden Sprechers. Bei Eli trugen die Autoren ein wenig zu dick auf, auch mit Blick auf seinen Werdegang, der den Schreiberlingen ein zu Spur zu prominent im Hinterkopf blieb.
Und nun zu Quiet. Himmelherrgott. Man muss gar nicht die Sexismus-Leier runterbeten, um von ihr peinlich berührt zu sein. Und das auf mehreren Ebenen, die ich kurz mal aneinanderreihe. Zum Fremdschämen ist die immer draufhaltende Kamera, die in unmöglichsten Situationen voll auf die Brüste fährt. Eigentlich sind Quiet´s Titten immer im Fokus. Insbesondere bei der furchtbar peinlichen Duschszene. Unfassbar schlecht ist das, was die alten Herren da sabbernd und mit offenem Hosenstall vor sich hin programmierten. Diese fies-notgeilen Momente hat MGS V weder nötig noch verdient. Kojimas „narrative Begründung“ für Quiet´s kaum vorhandenen Fummel, nämlich das sie durch die Haut atmen muss, ist haarsträubendster Scheiß hoch zehn. Und dabei, das stört mich ebenso, wurde Quite eine Spur zu frontal auf Cosplay-Sirene getuned, wobei…viele das offensichtlich gut finden. Warum auch immer, das Cosplay-Tralala habe ich eh noch nie nachvollziehen können.
Andererseits ist Quiet eine hervorragende Begleiterin. Auch wenn sie hochgezüchtet schon eine Spur zu wirkungsvoll wurde. Wer es irgendwann zu mühselig (oder kostspielig) findet, selbst die Luftunterstützung rufen zu müssen und lieber ein bisschen gemütlich Heilpflanzen sammeln mag, lässt halt die gute Quiet all die Drecksarbeit machen. Geht schon. Und wenn Snake sich nicht dreckig macht, muss glücklicher Weise nicht geduscht werden. Die anderen Begleiter können sicherlich auch neue Gameplay-Universen eröffnen, interessierten mich aber nicht sonderlich. Das Pferd zu Beginn schon, der Hund nur als Welpe auf der Mother Base und das Mini-Mech-Dingens von Dr. Emmerich erst recht nicht.
A propos Mother Base: Die FOE-Quasi-Multiplayer-Aufgaben lassen mich ja genauso kalt wie Metal Gear Online (gähn), aber das Mother Base-Ding zu erweitern und hochzupimpen war mir eine große Freude. Wenn Snake nach einer erfolgreichen Mission im Hubschrauber gen Mother Base flog und ich mir während dieser halben Minute meine stets wachsende Mother Base von oben anschaute…war ich schon begeistert. Auch gameplaytechnisch ist die Mother Base ein gelungener Coup, weil sie organisch für neue Fähigkeiten und Stärken im Spiel sorgt. Sonst fallen neue Fähigkeiten oft vom Himmel. Bei MGS V muss dafür (von NPC) aber mal ordentlich geschuftet werden.
Fleißig war natürlich auch der Hideo Kojima als Herrsches des Metal Gear-Universums. Warum jede Hauptmission wie eine eigene TV-Episode mit Prolog und Abspann designed werden musste, kann ich mir nur damit erklären, dass es willkommene Gelegenheiten waren, mal wieder den eigenen Namen lesen zu dürfen. Reicht es nicht, im Abspann darauf hinzuweisen, von mir auch auch in großen Lettern, dass der Mastermind höchstpersönlich Regie führte und an den Büchern (mit-)schrieb? Nein, ihm reichte das eindeutig ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Wunderbar ist auch, dass er sein jüngeres (!) Ich in einer Nebenmission retten lässt. Vielleicht fährt Quiet ja dann auf ihn ab. Bei all seinen Verdiensten um die Branche, ist mir persönlich sein Getue um sich selbst herum deutlich zu unsympathisch.
Jetzt mal genug von den Nebenschauplätzen. Letztlich bleibt ein Spiel ein Spiel und das gilt natürlich auch für MGS V. Und genau in dieser allerwichtigsten Disziplin ist es richtig großartig. Ein paar Nebenmissionen habe ich mir aufbewahrt, die ich in ein paar Wochen genießen möchte – denn dadurch, dass sich das Finale recht quälend dahin zieht, fehlte mir die Muße, mich diesen Aufgaben mit dem nötigen Ernst zu stellen.
Zum Abschluss noch die leidige Frage nach dem Platz von MGS V in der Geschichte. Ja, so groß darf man hier formulieren. Als Open World-Spiel hebt es sich auffallend positiv vom Kirmes-Open World von Ubisoft & Co ab. Schon alleine deswegen, weil sich die offene Welt annähernd komplett ignorieren lässt. Im Metal Gear-Universum selbst ist es sicherlich ein großer Sprung nach vorne, zumindest was das Gameplay betrifft. Die Story kann bei dieser positiven Entwicklung leider nicht mithalten, was genauso für die Charakterzeichnungen gilt. Beides sind wunderbare Anknüpfungspunkte für wen auch immer. Es dürfte auszuschließen sein, dass nie mehr ein Metal Gear Solid-Titel erscheint. Die Frage ist eher das Wie, Wann und von Wem. Und es ist nicht gesagt, dass ein Kojima-freies MGS-Spiel nicht noch gelungener als MGS V sein könnte.
6 Comments
Phinphin
Die Begründung über Quiets halbnacktes Auftreten hatte ich auch gelesen. Köstlich.
Das Spiel an sich steht zwar auf meiner Wunschliste, aber eher etwas weiter hinten. Openworld und ich, wir vertragen uns in letzter Zeit nicht so gut.
Jens
Ja, verstehe ich mit Open World, aber hier ist es ein wenig anders und unaufdringlicher mit Nebenmissionen gemacht. Und mit Sammelgedöns & Co. wird man auf der Map auch nicht belästigt. Daher ist es nicht gleiche Quark nur im anderen Gewand (obwohl ich diesen Quark oft gut finde).
Phinphin
Okay, das klingt gut.
Poly
Angesichts der Entwicklungen bei Konami muss man wohl umso dankbarer sein, dass MGS V den Erwartungen gerecht werden konnte. Spielen werde ich es zwar in nächster Zeit (also vermutlich den nächsten 1-2 Jahren) eher nicht, aber schön, dass da noch ein weiterer Kracher auf mich wartet 😀
Jens
Ich bin mir gar nicht so sicher, wie das mit Konami zu bewerten ist. Ich glaube der Herr Kojima ist schön eine kleine Diva, wer weiß, wie es gelaufen wäre, wenn ihm niemand Stress gemacht hätte…
Poly
Die Sache mit Kojima ist ja nur eine von vielen eher negativen Geschichten in letzter Zeit. Das Konami von heute ist nur noch ein Schatten der Hit-Schmiede vergangener Zeiten. Diversen Berichten nach wendet sich das Unternehmen ja zunehmend vom Spielemarkt ab und der mickrige Output der letzten Jahren unterstreicht das ja. Wenn man selbst ein (vergleichsweise günstiges) 2D Castlevania nicht mehr machen mag (und der Schöpfer darum zu Kickstarter geht), obwohl die Fans offensichtlich danach verlangen, sagt das schon viel aus.