Erst einmal ein WOW!, SIEHT DAS GUT AUS! Das ist ja wie 2007 beim ersten Uncharted auf der PS3! Ein kleines Erweckungserlebnis, das damals die PS3 ebenso augenblicklich aufwertete wie heute die PlayStation Vita. Auch wenn nicht Naughty Dog, sondern bendSTUDIO für Uncharted: Golden Abyss verantwortlich ist, bleibt es ein echtes Uncharted. Eine eindrucksvolle Grafik, spannende Kämpfe, eine gute Story, ein abwechslungsreiches Gameplay und die bekannte Prise Humor sorgen direkt für ein „Zuhause-Gefühl“. Daher: Gratulation und ein großes Lob an die Entwickler! Das muss man erst einmal schaffen, sich an diesem Spiel nicht zu verheben. Doch wie kann es sein, dass sich zum zweiten Mal das Gefühl einstellt, Uncharted das erste Mal zu begegnen? Hat sich die Serie nicht besonders mit dem zweiten und anschließend auch dem dritten Teil weiterentwickelt? Hin zu cineastischen Bombast? Ist Uncharted: Golden Abyss nicht vielleicht sogar ein Rückschritt? Muss das nicht ein Prequel zwangsweise sein? Die letzte Frage kann ich bestimmt verneinen, bei der ersten bin ich mir nicht ganz so sicher.
Auch Uncharted: Drakes Schicksal begann recht abrupt mit der Sequenz auf dem Meer. Dann ging es in den Dschungel – und diese Location sieht dem Urwald aus Golden Abyss zum Verwechseln ähnlich. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn bendSTUDIO nicht Zugriff auf die Naughty Dog-Schatzkiste hatte. Allerdings sind in Golden Abyss die Texturen merklich unschärfer. Nach den ersten großen Ahhhs und Ohhhs, was vor allem die Farben, den spektakulären Weitblick und die liebevoll gestaltete Welt angeht, sind erste Risse im Lack zu erkennen. So perfekt die Zwischensequenzen die Power der Vita eindrucksvoll demonstrieren, so auffällig sind im Spiel selbst Unschärfen und Treppen zu erkennen. Bei der Kantenglättung gibt es für den nächsten Vita-Ableger (der bestimmt kommt) noch ordentlich Luft nach oben. Aber um es klarzustellen: Das ist Jammern auf ganz extrem hohen Niveau. Uncharted: Golden Abyss ist eine Schönheit und dank der Vita-spezifischen Gameplay-Einlagen darf man es sogar streicheln. Und im Gegensatz zu manch anderen Kritik gefielen mir diese kleinen Gimmicks sehr gut. Auf Baumstämmen zu balancieren (übrigens ist das wieder ein Rückgriff auf den ersten Uncharted-Teil) kostet ein wenig Eingewöhnungszeit, aber all die Kleinigkeiten von Spitzhacken säubern bis zum Abpausen von Kohlezeichnungen über das hintere Touchpad sind kleine (vielleicht ein bisschen zu frickelige) Lockerungsübungen, die meiner Meinung nach dem Spiel gut tun und Abwechslung bieten.
Das macht die Story übrigens auch. Als Buddy erscheint dieses Mal mit Dante ein neuer Charakter auf der Bühne und auch die Partnerin Chase ist neu. Während Dante als schmieriger Charakter hervorragend umgesetzt wurde und mir für eine längere Zeit im Gedächtnis bleiben wird, ist Nathan Drakes Herzensdame in Golden Abyss eher unscheinbar geraten. Wieder ganz hübsch und nett, manchmal humorvoll, bauchfrei und selbstbewusst – aber trotzdem latent auf der Suche nach einer starken Schulter zum Anlehnen. Das haben wir schon oft genug erlebt. Ärgerlich ist es aber nicht. Die Geschichte selbst ist routiniert erzählt und spielt vor dem ersten Uncharted. Was insofern clever ist, weil man es dem Spiel technisch ansieht. Auch wenn die Story-Twists nicht sonderlich überraschen und wir eigentlich immer irgendwen oder irgendwas suchen, unterhält Golden Abyss vorzüglich – und bindet die verschiedenen Gameplay-Elemente und echten Hingucker perfekt ein. Mal sind wir auf der Flucht, mal sind es reine Kletterpassagen, dann kleinere und größere Kämpfe, wieder viel zu leichte Rätsel – und zwischendurch gibt uns Golden Abyss die Zeit, einfach mal zu staunen. Über die Schönheit der Landschaft, das sensationelle Panorama bei den Kletterpassagen, die kreativ gestaltete Spielwelt – und über die Power, die die Vita hat. Bei Uncharted: Drake Deception staunte ich schon beinahe zu oft und spielte für meinen Geschmack zu wenig. Das bendSTUDIO hier überraschender Weise den Spieß umdrehte, gibt dem Spiel und sogar dem gesamten Franchise neuen Schwung.
Uncharted: Golden Abyss ist nicht zu unrecht DER System-Seller in der westlichen Games-Welt. Auch wenn – völlig überraschend – Virtua Tennis 4 World Edition in Sachen direkte Steuerung und vor allem Grafik noch einen draufsetzt. Das macht Golden Abyss aber nicht zum schlechten Spiel und es ist eigentlich auch ganz sympathisch, wenn ein Uncharted nicht in jedem Fach der Klassenprimus ist. Es beweist aber eindrucksvoll die großen technischen Möglichkeiten der PlayStation Vita und unterhält auf ganz hohem Niveau. Uncharted: Golden Abyss räumt endgültig mit dem Vorurteil auf, dass Handheld-Ableger nur kleine hässliche Stiefgeschwister der großen Konsolengeschwister sind – oder noch bösartiger – misslungene zwergenhafte Klone. Im Gegenteil: Es ist einfach ein eigenes Spiel, dass den Gamer zu seinem Glück wieder weitaus intensiver einbezieht, als es die letzten „großen“ Teile machten und sichert sich damit ein Stück Eigenständigkeit, was der Reihe verdammt gut tut. Ein größeres Kompliment kann man Uncharted: Golden Abyss kaum machen.
8,5/10