Ah ja, so macht Ubisoft das also mit seiner Assassinen/Templer-Mär: Man stülpe dem alten Hemd, das löchrig, dreckig und dunkelgelb vor Schweiß müffelnd irgendwo in der allerhinterletzten Ecke vor sich hin gammelte, einfach ein neues, schickes Gewand über, dass zwar nicht zum Hemd passt, dafür aber so attraktiv ist, dass man davon geblendet kaum bemerkt, dass man eigentlich immer noch die alten Klamotten trägt. Yeah, das ist professionelles Marketing und gerade ein ganz schön langer Satz gewesen! Aber belassen wir es nicht nur bei einem Marketing-Coup, weil das zu viel der Ehre für die Vertriebsprofis im Hause wäre, denn Assassin´s Creed IV Black Flag ist einfach ein wirklich gutes AAA-Spiel. Bei dem ich aber nicht umhin komme massiv anzuprangern, dass es nicht „nur“ Black Flag heißt, sondern in dieses bizarre Assassin´s Creed-Templer-Universum geschubst wurde, bei dem kaum noch jemand durchblickt und das weder vom Setting her (Piraten in der Karibik!) noch geografisch zu Altair oder Ezios Welten passt. Falls jemand was vermisst: Assassins´s Creed 3 habe ich verdrängt.
Vergleichen wir doch erst einmal oberflächlich-deskriptiv die Assassin´s Creed Kompatibilität der AC 2-Teile mit Assassin´s Creed IV Black Flag: Was dem Ezio Auditore da Firenze ihm seine edle Brotherhood war, sind dem Edward Kenway ihm seine Piratenschiffe, sozusagen, da sind sich die Spielelemente in Ertrag und Mechanik schon eine Spur zu ähnlich. War Ezio ein belesener, charmanter Frauenheld und Abenteurer aus vornehmer Familie, der nicht nur sein Anwesen, sondern den halben Mittelmeerraum ausbaute und zu klingender Münze verhalf, gibt es für die Buchten und Küstendörfer in Assassin´s Creed IV Black Flag ein paar Upgrades hier und da und nichts weiter von Belang. Außerdem ist Edward Kenway ein selbstsüchtiger, versoffener Halunke, der sein Herz zu Hause ließ und sonst nicht viel mehr zu bieten hat. Bestiegen Altair und Ezio noch epische Kirchtürme für die Synchronisation, reicht Edward Kenway dafür viel zu oft eine umgeknickte Palme. Und so kann man immer weiter die Spielwelten und das Gameplay gegenüber stellen und bemerkt, dass im neuen AC-Ableger eigentlich nichts so wirklich in gleichem Maße stimmig ist wie in Assassin´s Creed 2-Brotherhood-Revelations. Abgesehen davon, dass die Schlachten auf hoher See den lachhaften Tower Defense-Einlagen aus Brotherhood (oder war es Revelations?) in jeder Beziehung überlegen sind. Nur warum ist dann Assassin´s Creed IV Black Flag trotzdem der bislang beste Teil der Serie? Weil er gar nicht zur Serie passt, so einfach ist das. Es ist ein waschechtes Piraten-Abenteuerspiel und dafür ein wirklich hervorragendes, in vielerlei Beziehung, das man nur nicht zu ernst nehmen sollte.
Das hätte sich Altair wohl nie träumen lassen. Edward Kenway ist in Assassin´s Creed IV Black Flag Europa viel klein und grau.
Zwar dauert es ein wenig, bis es zum ersten Mal in Assassin´s Creed IV Black Flag auf Hohe See geht, aber dann erfasst man so langsam die Stärken des Spiels. Die See ist rau und fühlt sich auch so an, die Crew trällert einen Song und neben Piratenschiff-Schleicheinlagen (!) verblüfft schon beinahe die Vielfältigkeit an Möglichkeiten im Kampf gegen andere Schoner, Fregatten und was sonst noch unsere Wege kreuzt. So ganz einfach sind die Kämpfe zumindest zu Beginn ebenso nicht, was leider für die traditionelleren Missionen an Land nicht gilt. Kisten suchen, Assassinen-Missionen durchführen (eine Leichtigkeit für den Piraten von Welt), hier mal schleichen und dort lautlos messern…alles wie gehabt. Nur, man muss es einfach so sagen, nie zuvor war es so schön.
Assassin´s Creed IV Black Flag: Und freundlich grüßt Far Cry 3
Dass Ubisoft Inseln kann, bewiesen sie zur Genüge in Far Cry 3. Das Auge spielt halt mit, besonders in AAA-Produktionen und hier gibt sich Ubisofts neuestes Rennpferd im Stall weiß Gott keine Blöße. Auch hier blenden die malerische Fauna, beeindruckende Wasserfälle und archaisch anmutende Klippen so stark, dass kaum wahrgenommen wird, wie wenig Open World in Assassin´s Creed IV Black Flag steckt. Die Illusion ist aber perfekt und mir persönlich lieber als eine schlecht designte offene Spielwelt. Übrigens: Wer auf der PlayStation Vita das vielerorts unterschätzte Assassin´s Creed 3: Liberation bereits spielte, wird den einen oder anderen Einfluss auf den großen Bruder nicht übersehen können - sei in Sachen Sumpflandschaften oder das Klettern auf Palmen und Bäumen.
Also: Assassin´s Creed IV Black Flag geizt nicht mit schönen Bilder, fordert den Spieler ordentlich auf Hoher See heraus und profitiert von all den bewährten immergleichen Assassin´s Creed-Power-Missionstypen und zuallererst von der ruhig erzählten, hochgradig spannenden Story um den Apfel oder irgendein Observatorium und Außerirdische und ihr merkt schon, aber wann dieser Satz sich der Lächerlichkeit preisgab. Herrgott nochmal, was geht mir diese in die Länge gezogene Templer-Alien-Story auf den Sack mittlerweile, deutlich kann ich es wohl nicht sagen. Auch die „neue“, in Assassin´s Creed 3: Liberation schon erprobte Abstergo Entertainment-Perspektive langweilt ins Bodenlose und ist außerdem vergleichsweise grottig synchronisiert. An so manchen Stellen sollte/könnte/müsste(?) der geneigte Spieler vielleicht doch seine Ohren auf Durchzug stellen. Schade, das ist es auch, was an Assassin´s Creed IV Black Flag so ärgerlich ist: Ohne diesen irrsinnigen Story-Ballast und dafür mit dem frischen Helden Edward Kenway, der große Abenteuer auf den Weltmeeren erlebt, hätte Ubisoft locker eine neue Serie etablieren können. Das Potenzial ist dafür da, aber Ubisoft hat nun mal in letzter Zeit so seinen eigenen Kopf bei der Markenpflege.
Bei Splinter Cell: Blacklist leistete Ubisoft zum Beispiel eine derart hervorragende Arbeit ab, dass ich glatt vergaß darüber zu schreiben. Da passte alles, da wurde Gutes von Vorgestern mit Gutem von gestern (Convication) gekreuzt und Schlechtes/Nerviges gekonnt aussortiert. Ein Triumph des Gameplays und Balancings, bei verschmerzbaren Einbußen in Sachen Story, aber auch das sahen wir schon weitaus Schlimmeres in der Splinter Cell-Serie. Bei Far Cry 3 ging Ubisoft einen anderen Weg. Teil 2 wurde als kaum existent deklariert und mit Bezug auf Teil 1 dann Elemente aus allen Open World Spielen dieser Galaxie ins Spiel gepackt, die Spielwelt massiv aufgemöbelt und eine strunzdoofe Geschichte ins Lächerliche gezogen. Hat geklappt, mir auf AAA-Niveau gut gefallen, aber Far Cry 3 war im Sinne des Franchises nicht so ganz stimmig. Bei Assassin´s Creed IV Black Flag versucht man nun beide Strategien miteinander zu verbinden. Das letztes Jahr noch mit einer massiven PR-Kampagne gepushte AC 3 ist nun der hässliche Stiefsohn, der im dunklen, verschlossen Verlies hockt, während oben der optisch perfekt aufgebrezelte Nachfolger malerisch der Sonne entgegen tuckert. Beim Gameplay jedoch klaute Ubisoft sich nicht quer durch alle Spiele der letzten Jahre durch, sondern bediente sich im eigenen Assassin´s Creed-Regal und feilte hier und da leicht an Aufgaben- und Missionstypen. Insgesamt fühlt sich Assassin´s Creed 4 Black Flag weitaus leichter und in bestem Sinne luftiger an als seine Vorgänger, was für einen inoffiziellen sechsten Teil durchaus eine Leistung ist. Auch wenn ich mich mehr darüber gefreut hätte, ein Black Flag I gespielt haben zu dürfen.