Dort, wo Style noch zur Lebenseinstellung gehört, wissen Fashionistas, dass kaum ein anderer Pullover so dermaßen praktisch und stylisch ist wie der gute alte Norwegerpulli. Für mich strahlten die Dinger eigentlich eher eine winterliche, von Müßiggang durchzogene sozialdemokratische Gemütlichkeit aus. Aber ich bin auch kein Fashionista. Die Damen und Herren bei Vostok Games schon. Der Beweis: Wer seine ersten Partien in der Survarium Beta (jetzt offen für alle PC-Freunde) spielt, sieht sich selbst als Mann im Totenkopf-Norwegerpulli im Team mit Klonen seiner selbst im Totenkopf-Norwegerpulli gegen böse Gegner kämpfen, die ebenso Klone seiner selbst sind und natürlich auch im Norweger-Totenkopfpulli um sich schießen. Modisch könnte das angesagt sein, jedoch führt diese offensichtlichste Beta-Eigenheit von Survarium zu einem unangenehm hohen Anteil an friendly fire-Toden. Sieht man davon ab, präsentiert sich die Survarium Beta in Sachen Gameplay in hervorragendem Zustand.

Die Entwickler von Vostok Games orientieren sich dabei nicht nur an eigenen früheren Glanzleistungen, S.T.A.L.K.E.R-Veteranen, die sie sind, sondern bedienen sich auch sonst ausgiebig an Konkurrenztiteln wie Arma 3, DayZ, dem Multiplayer von Call of Duty (+Konsorten) und sogar einem Fallout 3 und hier glücklicher Weise bei den richtigen Spielen an dessen besten Ecken. Das Gameplay ist ganz nah dran an Arma 3 (und S.T.A.L.K.E.R), der Look erinnert an DayZ, setzt das Endzeitszenario aber überzeugender um (allgemeiner Verfall, abgerissene Häuser, Ruinen etc.), die Upgraderei von Waffen und Ausrüstung gäbe es ohne ein CoD sicherlich nicht so in dieser Form und die differenzierte Anzeige von Verletzungen nach Körperteilen (mit variierenden Konsequenzen) ist auch ein wenig von Fallout 3 inspiriert. Nur eins, das machen Vostok Games anderes als die genannten Vorbilder. Leider. Schon jetzt ist die Survarium Beta knallhart free2play bzw. pay2win. Da soll mir keiner was von Balancing oder „sind doch nur Erfahrungsboosts“ erzählen. Fair ist das nicht, wenn ich kurz nach Öffnung der Survarium Beta in meinem Totenkopf-Norwegerpulli durch die Trümmern tanze und dann direkt von einem hochgezüchteten Kollegen aus den Stiefeln geschossen werde. Auch das ein Grund, warum ich mir von meinem ersten „verdienten“ Geld im Store direkt einmal eine wattierte Lederjacke kaufte (+10 Rüstung, und bei einer wattierten, ollen Jacke in einem Shooter kann ich eh nicht nein sagen).

Technisch und optisch lässt die Survarium Beta kaum Wünsche offen. Außer an DayZ.
Technisch und optisch lässt die Survarium Beta kaum Wünsche offen. Außer an DayZ.

Aktuell ist in der Survarium Beta exakt ein einziger Modus spielbar. Eins vs Eins heißt er, warum auch immer. Eigentlich ist Eins vs Eins ein ziemlich klassisches Capture the flag. Gut, revolutionär ist das nicht. Aber die anderen, noch rein geteaserten Modi wie Freies Spiel und Clankampf geben schon die Richtung vor, in die es gehen könnte. Hier noch eine Prise MMO, dort noch ein bisschen Arma 3-Open World-Zuckerguss drauf. So oder so funktionieren die Matches, was zum einen an den Maps liegt, zum anderen am Quasi-Simulationscharakter des Spiels und nicht zuletzt daran, dass erfreulich wenige Vollpfosten online sind. Sonst wäre die friendly fire-Gefahr noch größer, als sie es eh schon ist.

Survarium Beta: Free2play-Potpurri aus den besten nicht Free2play-Spielen

Zuerst die Maps: Endzeit kann Vostok Games und seit Last of Us habe ich nicht mehr so eine wunderbar gestaltete Welt gesehen. Und das, obwohl die Maps höchstens mittelgroß sind. Ob etwa Vostok, Rudnya oder Schule: Jeder Stil lässt sich durchziehen. Es gibt gute Möglichkeiten zu snipern ebenso wie die kleinen, verwinkelten Schrotflinten-Ecken. Mit meinem Mosin Karabiner, den ich zuerst der MG vorzog, gelang das snipern mehr recht als schlecht, dafür war aber die Aussicht super. Letztlich ist es Erfolg versprechender mit der MG in den Halbdistanz-Infight zu gehen, nur sollte man immer einen Blick auf die Munition werfen, denn die Pistolen kommen noch ein wenig leichtfüßig daher. Und abschließend zu den Maps noch ein kleiner Pro-Tipp, der mit einer „netten“ S.T.A.L.K.E.R: Shadow of Chernobyl-Reminiszenz zu tun hat. Da wo Nebel ist, ist Gift und da, wo es leuchtet, ist Uran im Spiel. Bleibt da weg.

Wenn ich schon mit wattierter Jacke durch die Endzeit streife, dann aber bitte der Klasse Landstreicher zugehörig.

Warum zwei Absätze weiter oben so verdrechselt „Quasi-Simulationscharakter“ steht? Deswegen, weil sich unser Held nach leichteren Treffern erholt, was zum Beispiel in Arma 3 nicht möglich ist. Dafür reichen wenige und vor allem gut platzierte Treffer aus, um dem Spieler dauerhaft (bis zum nächsten Tod) einige Probleme zu bescheren. Mit kaputten Händen lässt sich zwar noch schießen, aber nicht mehr das Ladegerät (das ist die Flag in der Survarium Beta) aufsammeln und zur Basis transportieren. Aber auch so sorgt ein Treffer oftmals für den frühen Bildschirmtod, was durchaus sein Gutes hat: Denn immer wenn man was zu verlieren hat, strengt man sich mehr an. In Videospielen steigt bei mir direkt unter diesen Voraussetzungen das Immersionsgefühl massiv an. Da geht das Adrenalin hoch.

Was fehlt: Der Grund, um in den Krieg zu ziehen. Hoffentlich schlägt hier das betahafte an der Survarium Beta massiv durch. Denn auf einen „einfach so“-Onlineshooter mit tollem Knochenbau, aber ohne Fleisch und Hirn habe ich mittlerweile wenig Lust. Das reicht nicht, auch wenn die Kämpfe vergleichsweise herausfordernd sind. Spannung alleine ist schön, eingebettet in ein glaubhaftes Szenario oder in eine interessante Geschichte, aber noch viel schöner. Auch das wäre was für die Immersion. Aber, was soll das alles mit dem eintauchen in ein Spiel (mit hochklassigem Gameplay!), wenn der Entwickler dem Ganzen diesen Hut hier aufsetzt.

KAUFEN! KAUFEN! KAUFEN!
KAUFEN! KAUFEN! KAUFEN!

Und genau deswegen wird es kompliziert mit Survarium und mir. Und das, obwohl die Survarium Beta als Spiel vollends überzeugt. Dafür, dass ich auf Online-Shooter keine Lust mehr habe, hatte ich verdächtig viel Adrenalin im Blut. Aber: Als Gelddruckmaschine mit Geschmäckle ist Survarium zu weit ab der Spur, die für mich akzeptabel ist. Ich kaufe keine InGame-Währung, basta. Und ob es ohne den Verzicht darauf trotzdem mittelfristig Sinn macht weiterzuspielen, wird erst nach der Survarium Beta entschieden. Oder doch vorher, wenn ich mich dazu entschließen sollte, dem Spiel den Rücken zu kehren und weiterzuziehen.

NACHTRAG:

Es gibt in der Survarium Beta tatsächlich eine Köln-Map. Wer hätte das gedacht? Für meinen Geschmack wirkt der Dom nicht so ganz dem Vorbild entsprechend und auch sonst glaube ich nicht, dass so viele Farne den Weg des Wanderers kreuzen. Das Köln in dieser Survarium-Welt ist schon überraschend tropisch. Aber, und jetzt wird es ernst: Auch der 1. FC Köln ist mit dabei, an mindestens zwei Stellen. Das ist hart.

Mal ein anderer Headshot...
Mal ein anderer Headshot…