Es dauerte bei SOMA ein wenig bis zum ersten Wau. Metal Gear Solid V kam, sah, siegte, nahm mir Zeit und verbannte SOMA zum Release nicht einmal auf die Ersatzbank, sondern direkt auf die Tribüne. Unfair und unnötig war das, wie sich herausstellte. Mir fehlte eindeutig das richtige Maß an Fingerspitzengefühl, nicht zuletzt weil ich mich von manchen solala-Kritiken zu SOMA viel zu sehr beeindrucken ließ. In Erinnerung blieb mir etwas aus der Richtung „blabla_eigentlich_super_blabla, aber die Horrorelemente sind für´n A*sch“. Stimmt gar nicht, zumindest aus meiner Perspektive, denn es kommt darauf an, wie ein(e) jede(r) „Horror“ für sich definiert und nur weil SOMA den Splatter-Korken nicht knallen lässt, bedeutet es nicht, dass SOMA kein hervorragendes Horrorspiel ist – bei dem ich mir immer noch Wau denke, wenn mir wieder mal schöne Passagen aus dem Spiel für ein paar Minuten in den Sinn kommen.
SOMA als philosophische Meditation mit Walking-Simulator-, Rätsel- und Grusel-Elementen zu bezeichnen, geht vielleicht ein wenig zu weit, aber sicherlich in die richtige Richtung. An manchen Stellen ist diese Einordnung übertrieben, an anderen greift sie zu kurz. Die Frage nach der Definition, Relevanz und Einzigartigkeit menschlicher Existenz behandelt Frictional Games in SOMA beispielsweise auf eine doppelbödige, fantastische Art und Weise. Es spielt meisterhaft mit Identitäten, lässt zu, dass das vermeintlich Böse (Wau!) auch als eigentlich Gute interpretiert werden könnte und präsentiert all das so wunderbar offen, dass dem mitdenkenden Spieler schwindelig werden kann. Andererseits ist SOMA das schönste hässliche Spiel, dass ich kenne. Wer auf technischen Schnickschnack steht, bei dem Texturen um jeden Preis ganz extrem hochauflösend sein müssen, der dürfte SOMA in die Ecke knallen. Wer aber wiederum ein Auge für stimmige Welten, fantastisches Art-Design, Atmosphäre und darüber hinaus noch die Ruhe hat, all das zu genießen, der umarmt SOMA mindestens so dolle, wie ich es getan habe.
Zugegeben: SOMA startet ohne einen Wau-Effekt. [Spoiler] Optisch belanglos, mittelmäßig vertont und langweilig. Bis Simon (der Erste) sein Gehirn in der abgefuckten Praxis in Toronto scannen lassen möchte/will/muss und dann viel, viel später an einem ganz anderen Ort wieder erwacht. Oder was geschah da eigentlich? Wer sich einen zweiten Durchgang von SOMA gönnt, wird schon an dieser Stelle bemerken, wie anders sich das Spiel anfühlt, wenn man weiß, was geschah – aber letztlich trotzdem nicht klüger ist, da sich nur andere Fragen als bei der ersten Runde stellen. Ist das nicht großartig? Zu diesem Zeitpunkt erinnerte mich SOMA übrigens ein wenig an manche Passagen aus Alien: Isolation. Die dunklen Gänge, Enge, Einsamkeit und das beklemmende Gefühl, dass hier jeden Moment etwas ganz Schlimmes passieren könnte. Hier packte mich SOMA richtig, während ich mit dem so schrecklich in die Länge gezogenen Alien: Isolation bis heute fremdele.
Obwohl SOMA´s Spielwelt der Meeresgrund ist, hat es nichts mit Bioshock gemein. Das kann nicht oft genug erwähnt werden. SOMA ist natürlich zu null Prozent Shooter, sondern zu Beginn eher irgendwo zwischen Puzzle und Exploration angesiedelt. Während der Spieler sich gemeinsam mit Simon fragt, was das alles hier soll und nach Wegen sucht, die uns klüger machen, überwältigte mich die Spielwelt und sog mich geradezu ein. Besonders die ersten Schritte außerhalb der Stationen haben es mir angetan. Schon lange nicht mehr habe ich mich so gerne umgeschaut und einfach nur die Umgebung erkundet. So fantastisch in engem Sinne Zeit und Ort in SOMA sind, so „echt“ fühlt es sich trotzdem an. Im weiteren Verlauf öffnet SOMA dann seine Gameplay-Kiste und neben durchaus kniffligen Rätseln begegnen wir seltsamen Viechern und menschenartigen Gestalten, die es auf uns abgesehen haben – und da sind wir wieder bei Alien:Isolation und genauso ist SOMA´s Grusel zu verstehen: Spannend und gruselig wird es besonders kurz bevor etwas passiert. Und ein bisschen auch auf der Flucht. Klassischer Horror wird anders gespielt, aber er ist in SOMA zu bestaunen – und zwar in Person der zurückgebliebenen und seltsam modifizierten Menschen. Interessant ist es, dass der Spieler selbstverständlich seine Begegnungen mit den Wesen dazu nutzt ein Gut-Böse-Schema aufzubauen. So wie man es kennt, so wie es üblich ist. Dass diese Aufteilung keinen Sinn macht und weder wir noch unser Simon (der Zweite) eine moralische Instanz sind, sondern in Wirklichkeit gar nicht verstehen, was in den Stationen und genau in diesen gespielten Momenten geschieht, treibt mich immer noch um.
Und dann treffen wir Catherine von PATHOS-II, die nach den sprechenden Maschinen, die sich für Menschen halten, das erste Wesen (?) mit Selbsterkenntnis ist. Von ihr lernen wir einiges über die Rahmenhandlung und ich kann nur empfehlen, ihr ganz genau zuzuhören. Davon mal abgesehen, dass ich Catherine nie über den Weg traute, stellte sie unausgesprochen einige Fragen, die direkt zum Kern von SOMA führen und damit kommen wir zu Wau und der ARK. Wau als künstliche KI scheint zwar einerseits nach unserem Leben zu trachten, hat andererseits aber ein – erst einmal – paradoxes Motiv, denn Wau wurde darauf programmiert Leben zu retten. Und tatsächlich tut es das ja auch, zumindest versucht es Wau. Nur leider mit ziemlich unappetitlichen Konsequenzen. Und nun kann man sich fragen, warum Wau mit aller Macht auf solch perverse Art und Weise versucht unser Leben zu „retten“ und dabei jedes Maß verlor. Es liegt natürlich daran, dass die zu beschützenden Menschen selbst außerhalb normaler Parameter handelten. Und was eine KI nicht begreifen kann, ist auch nicht mit „normalen“ Mitteln zu beherrschen. Wau handelt nur nach der Logik, mit der sie erschaffen wurde, mehr nicht. Böse sind, wenn überhaupt, die anderen.
Und trotzdem sollte man sich Wau schön vom Leibe halten. Spielerisch geraten die Fluchtsequenzen mal anspruchsvoller und spannender und mal routinierter, aber an Faszination gewinnt Wau trotzdem von Minute zu Minute. Weil aus der vermeintlich bösen, fremden Macht, die doch in den ersten Spielstunden bestimmt mit den weltzerstörenden Meteoriten auf die Erde kam, plötzlich eine (letzte) Kraft mit quasi-menschlichen Überlebenswillen geworden ist. Faszinierend, nicht wahr? Sehr gut bekommt es SOMA, dass Wau nicht an jeder zweiten Ecke nach uns Ausschau hält. Das Spiel jongliert von Anfang bis Ende mit seinen Gameplay-Elementen und variiert zudem noch mit deren Intensität, Dauer und Anspruch. Das einzige, dass mich ein wenig ärgerte, war eine gewisse Einfallslosigkeit im Storytelling. Natürlich geht immer irgendwas kaputt, was uns retten sollte. Egal, unter´m Strich sind diese Wiederholungen genau diese zwei Zeilen im Text wert und keine einzige mehr. Ansonsten langweilte ich mich keine einzige Sekunde bei SOMA, auch und besonders nicht in den Momenten, in denen „relativ wenig passiert“. Einfach dem Unterwasser-Pfad zu folgen, kann in SOMA sehr, sehr aufregend sein.
Zu Gedankenspielereien regt nicht nur Wau an. Der sogenannte Coin Toss sollte nicht unerwähnt bleiben. [Noch mehr Spoiler] Oben erwähnte ich schon Simon, den Ersten und dann Simon, den Zweiten. Simon, der Dritte, kommt später dazu und abschließend in der ARK, dem im Weltraum schwebenden, digitalen Nirwana, noch eine Art Simon, der Vierte. Verwirrend, nicht wahr? Die Frage lautet hier, wer denn nun wie viel bzw. überhaupt noch „Simon“ ist und wie viel Quasi-Klon. Denn, wie wir wissen, wird Simon nicht übertragen, sondern kopiert. Besonders eindringlich zeigt uns den Unterschied die Szene, als Simon III in der Kabine hört, wie Simon II spricht. Für mich einer der bewegendsten Momenten in SOMA. Ein wenig rätselhaft empfinde ich die Ignoranz von Simon (II und III) gegenüber den Kopiervorgängen, aber vielleicht ist es „normal“ (?), dass ein Bewusstsein an einen Körper gebunden sein möchte und sich nicht vervielfältigen und in letzter Konsequenz entmenschlichen lassen mag. Simon III hätte erleichtert sein können, wenn er mitgedacht hätte, so kommt aber sein Furor in der letzten Szene vor dem Abspann recht unbedacht rüber. Wau dagegen bleibt, wie es ist und die Frage stellt sich natürlich, was wohl aus Wau wird, wenn kein Mensch mehr da ist, der gerettet werden kann. Schaltet es sich selbst ab? Oder existiert es einfach so?
Vor allem Wau und der Coin Toss heben SOMA intellektuell hoch hinaus auf den Thron im Spieleparadies. SOMA ist – abgesehen von den Kern-Gameplayelementen – anders als jedes Videospiel, das in den letzten Jahren auf den Markt kam. Es ist klug, ohne klugscheißerisch zu sein; es ist im besten Sinne philosophisch, weil es die großen Fragen stellt, aber konsequent keine Antworten geben mag. SOMA ist Kunst, ohne damit hausieren zu gehen und SOMA ist sogar dann hochspannend, wenn gar nichts passiert. Und SOMA bleibt im Bewusstsein hängen, ohne es frontal darauf angelegt zu haben. Und so perfekt können nur die ganz großen Videospiele sein.