Manchmal entwickelt sich ein Spiel erst im Nachhinein zum System-Seller. Was ungerecht ist, denn keiner kauft sich ein Spiel zwei Mal. Vor dem Launch war der Vita-Kaufgrund Uncharted: The Abyss, was ohne Zweifel ein fantastisches Spiel ist. Doch Virtua Tennis 4 World Tour Edition hängt Uncharted in Sachen Gameplay und - man höre und staune - Grafik locker ab. Die Voraussetzung dafür: Man steht auf ganz großes Tennis. Und man scheut nicht den Gameplay-Vergleich zwischen einem Action- und einem Sportspiel.

Die Virtua Tennis-Reihe von Sega gehört sicherlich zu den Klassikern im Sportgenre und hat es gegen die Vertreter der Neuzeit - wie manch anderes Urgestein auch - mittlerweile schwer. EA veröffentlichte  Grand Slam Tennis 2 auf allen Plattformen und gesellt sich damit zum Dreikampf mit Virtua Tennis und dem Kritikerliebling  Top Spin. Jeder hat dabei seine Besonderheiten: Top Spin ist sicherlich die ernsthaftere Simulation, Virtua Tennis besonders eingängig und Grand SlamTennis ist…na ja, noch recht unausgereift. Wo liegen dann also die Stärken von Virtua Tennis nicht nur im Vergleich zur Konkurrenz, sondern auch zu den Heimkonsolen-Ablegern? Die Antwort: Die Stärke ist die Vita. Hardware matters. Abgesehen von den netten, aber nicht unbedingt nötigen Touchspielereien und dem zwangsweise nicht möglichen lokalen versus-Modus per Controller, unterscheidet sich die Vita-Version nicht im geringsten von den der Heimkonsolen. Nur: Jedes Spiel, jedes Minigame macht auf der Vita mehr Spaß. Und es drängt sich der Eindruck auf, als war Virtua Tennis im Herzen schon immer mehr Handheld-Game als stationäres Konsolenspiel. Nur hat es bei der PSP keiner gemerkt. Vielleicht auch deswegen, weil es erst auf der Vita so fantastisch aussieht.

Die Farben. Die Schärfe. Keine Treppen. Die direkte Steuerung. Die schönen Locations im Spiel. Das ist alles sehr eindrucksvoll umgesetzt und - ich wage es kaum zu schreiben, weil es sich um ein Tennis-Spiel handelt - schmeichelt dem Auge. Wo bei Uncharted einige Texturen schon auf den ersten Blick recht schwammig sind, bleibt bei Virtua Tennis jeder Baum, jede Spielerbank und jeder noch so fest gedroschene Ball knackscharf. Ohne Zweifel haben die Entwickler diesbezüglich eine grandiose Arbeit abgeliefert. Bei den Spielmodi macht es kaum einen Unterschied, welcher ausgewählt wird - sie sind durch die Bank Handheld-tauglich - in dem Sinne, das kein Spiel zu lange dauert und dem Gamer die Möglichkeit nimmt, es unterwegs zu spielen. Bei den Karrierematches wird ein Sieg nach einem Satz und zwei gewonnenen Spielen recht schnell gefeiert. Kurzweiligkeit steht also bei den normalen Spielen ebenso wie bei den - wieder ziemlich trashigen - Minigames im Mittelpunkt. Hier kann ich jedem Gamer nur empfehlen, sich über die Minigames nicht lustig zu machen, sondern sie als, wenn auch launiges, aber doch durchaus seriöses Training wahrzunehmen. Ob Münzen einsammeln oder Küken in den Stall bringen - auf den ersten Blick wirken die Trainingseinheiten wie überflüssiger Japan-Trash. Auf den vierten Blick wird aber bewusst, wie sehr die Einheiten dabei geholfen haben, dass Spiel auch in der Tiefe zu beherrschen.

Ein wenig muss man sich in die Online-Modi einfuchsen. In den Clubhäusern kann man nach Gegnern suchen, selber ein Clubhaus eröffnen oder im Ranglistenspiel auf den Zufall vertrauen. Übrigens: Steht beim Ranglistenspiel kein Gegner nach ein paar Sekunden auf dem Court, startet das Spiel automatisch den Offline-Arcade-Modus. Bis sich einem ein Gegner in den Weg stellt. Das ist clever gemacht und zeigt ein weiteres Mal, das Virtua Tennis auch dann brauchbar ist, wenn der Spieler nur eine kurze Session einlegen möchte. Leider Gottes startet der Arcade Modus viel zu oft, da entweder zu wenig Spieler online sind oder aber die Technik nicht so ganz mitspielt. Aber, und das zeichnet Virtua Tennis wie eh und je auch, spielt man es länger und ernsthafter, erkennt man, wieviel Tiefe in der Matchgestaltung steckt und wie viel Möglichkeiten das Spiel bietet, um den selbst gewählten Spieler ganz nach Wunsch anzupassen. Auch hier ist Virtua Tennis wieder großes Tennis. Mit Blick auf Top Spin muss ich eingestehen, dass gerade im Karrieremodus Virtua Tennis vielleicht eine kleine Spur zu eingängig und leicht ist.

Leider werden sich nur wenige Gamer eine PlayStation Vita zulegen, um Virtua Tennis World Tour Edition zu spielen. Das Spiel hätte es verdient. Auch wenn sich auf den ersten Blick eigentlich gar nichts zu den PS3- und Xbox-Versionen geändert hat, spricht doch einiges dafür, es sich für die Vita zuzulegen. Denn es ist eigentlich ein Vita-Spiel, hier überzeugt es beinahe auf ganzer Linie. Von der Spielbarkeit, von den Spielmodi - und natürlich von der Grafik her setzt es Maßstäbe bei portablen Sportspielen. Wo Fifa Football eher durch einen lieblosen Blick zurück in seine eigene Vergangenheit enttäuscht und Uncharted sein Versprechen nach grafischer Opulenz nicht ganz einhält, kommt da also mit Virtua Tennis ein auf den ersten Blick unscheinbarer Vertreter des Weges - und zeigt seiner Konkurrenz, wo der Hammer hängt. Das ist in jeder Beziehung ein schöne Überraschung.

8,5/10