Schönheit, die von Innen kommt, erkennt man zumeist erst auf den zweiten Blick und so ging es mir mit Assetto Corsa, dass als Early Access derzeit das überschaubare Feld an anspruchsvollen Rennsimulationen aufmischt. Interessant im Vorfeld: Der Entwickler mit dem schönen Namen Kunos Simulazioni versteht sich als Simulationsexperte und bietet schon seit geraumer Zeit Lösungen für professionelle Rennställe an und ist damit mehr Technologieunternehmen als reinrassige Spieleschmiede. Ihr Anspruch und Geschäftsmodell sind Rennerlebnisse ganz nah an der Realität, was man Assetto Corsa durchaus an einigen Stellen anmerkt. Assetto Corsa ist bockig und anspruchsvoll und das nicht nur auf der Piste, sondern auch in den Menüs. Konsoleros, die ausschließlich in der Need for Speed- oder Codemasters-Welt beheimatet sind, werden erst einmal die Krise kriegen. Denn was wie eine unaufgeräumte UI-Baustelle wirkt, ist unter der Haube schon heute als Early Access weitaus umfangreicher (und besser gelungen) als so mancher Vollpreistitel. Mit dem letzten großen Update wurde ein Multiplayer integriert, der genauso sperrig ist wie der Rest der Spiels, aber der Assetto Corsa noch einmal weit nach vorne bringt.

Assetto Corsa empfängt den Spieler reichlich unspektakulär mit dem Hauptmenü. Keine spektakulären Filmchen, kein Intro, nix. Ich denke, dass bleibt im Großen und Ganzen auch so und ist nicht dem Alpha-Status geschuldet. Unnützes Brimborium ist bei Assetto Corsa nun mal verzichtbar. Und nun hat der Rennfahrer in spe mehrere Möglichkeiten, um sein Können auf der Piste unter Beweis zu stellen: Rennen bzw. Rennwochenden mit allem drum und dran inkl. Qualifiying, Spezialevents, Hotlapping, Zeitrennen, Drifts (jucken mich nicht und sind mit dieser Erwähnung direkt abgehandelt) und der Multiplayer bzw. Online-Modus. Ich kann nur empfehlen, erst einmal im Training auf den frei zu modifizierenden Kursen mit verschiedenen Wagen einige Runden zu drehen um ein Gefühl für das Gameplay und die Autos zu bekommen. Wer will, kann sich schon an den Tuning Optionen versuchen und sich das Auto dem eigenen Fahrstil entsprechend hinbiegen. Wobei hier enge Grenzen gesetzt sind. Eine alte Karre wie der BMW 3 lässt sich nicht wie ein BMW Z4 fahren, ganz egal wie ausgiebig man am Auto herumschraubt. Nach den ersten Runden dürfte klar sein, wo Assetto Corsa hinwill. Nicht in die Komfortzone eines Fun Racers, sondern dahin, wo enge Kurven noch weh tun können. It´s the Fahrphysik und die kann gnadenlos sein. Ich kann mich nicht erinnern, so oft aus eigentlich harmlosen Kurven gerutscht zu sein wie in den ersten Runden von Assetto Corsa.

Wenn man sich mal durchgearbeitet hat, ist der Assetto Corsa Menü durchaus logisch aufgebaut.
Wenn man sich mal durchgearbeitet hat, ist das Assetto Corsa Menü durchaus logisch aufgebaut.

Da es einen Karrieremodus noch nicht gibt, folgt Assetto Corsa keinem vorgegebenen Roten Faden. Den muss sich der Spieler selbst suchen. Mir gefielen die Spezialevents bzw. Challenges. Beispielhaft hier zwei Wettbewerbe, die die große Bandbreite im Gameplay von Assetto Corsa zeigen. Zuerst einmal das Meet the AC Team-Event, bei dem wir in einen eher klapprigen BMW 1M einsteigen und versuchen eine möglichst schnelle Runde hinzulegen. Oder das BMW Race mit dem ebenso betagten BMW M3. Jedoch: Das gibt hier keine Schleicherei mit Gegnern am Bindfaden, wie mit den Pandas etwa bei Gran Turismo 5, sondern ein recht erdiges Rennen, wobei die KI eher moderat fährt und auf höheren Schwierigkeitgraden (zumindest für mich) kaum zu schlagen ist.

Assetto Corsa: Große Bandbreite an Events und Herausforderungen

In den älteren Autos rumpelt und pumpelt es, die Wagen sind schwer zu beherrschen und gerade kurvenreichere Strecken wie etwa Vallelunga kaum ohne Übung zufriedenstellend zu meistern. Beim Meet the AC-Team brauchte ich jedenfalls in Vallelunga etliche Runden, um auf diesem anspruchsvollen Kurs in einem schwer zu bändigenden Auto halbwegs ordentliche Rundenzeiten hinzulegen.

In ersten Assetto Corsa-Rennen zeigten mir die BMWs aber mal ganz ordentlich die Rücklichter.
Im ersten Assetto Corsa-Rennen zeigten mir die BMWs aber mal ganz ordentlich die Rücklichter.

Natürlich ist es auch Typsache. Ich fahre lieber in Formal 1-ähnlichen Wagen und deswegen war etwa das Tatuus Race der Formula Abarth auf dem ehrenwürdigen Kurs in Mugello mein Fall. Hier fühlt sich Assetto Corsa beinahe wie ein anderes Spiel an. Die Steuerung ist weicher, nicht jede Bodenwelle so unmittelbar spürbar wie im uralten Tourenwagen. Anspruchsvoll bleibt es trotzdem und das nicht nur auf dem Alien-Schwierigkeitsgrad, der möglicher Weise der Realität außerhalb dieser Simulation noch einen draufsetzt.

Mehr Power unter der Haube haben die Wagen im Tatuus Race.
Mehr Power unter der Haube haben die Wagen im Tatuus Race.

Leichte Probleme habe ich mit den Zeitrennen. Ein Spiel wie Assetto Corsa, das in bestem Sinne derart realistisch-spröde daherkommt, sollte vielleicht lieber auf Modi verzichten, bei denen es Checkpoints, Punkte und Countdowns gibt. Irgendwie passt das nicht so recht zusammen. Zumindest aus meiner Sicht. Außerdem glaube ich an dieser Stelle einen unangenehm-angenehmeren Schwierigkeitsgrad festgestellt zu haben, was mich genauso überraschte wie in Dark Souls II einen Boss im ersten Versuch locker kalt zu machen. Immer schön bei den Wurzeln bleiben, Assetto Corsa!

Punkte, Checkpoints, Strafen...der Zeitrennen-Modus passt nicht so recht zu Assetto Corsa. Meiner Meinung nach.
Punkte, Checkpoints, Strafen…der Zeitrennen-Modus passt nicht so recht zu Assetto Corsa. Meiner Meinung nach.

Neben den offensichtlichen Baustellen und Modi wie etwa dem Drag-Rennen, das einfach mal so ohne Ziellinie an Beton-Stoppern endet und in diesem Zustand nicht einmal in ein Early Access passt, schraubt der Entwickler aktuell vor allem am Multiplayer. Der ist gut gelungen, wenn auch recht umständlich konzipiert. Es gibt ein so genanntes Booking-System, das dazu dient sich für ein Rennen anzumelden. Das funktioniert natürlich nur, wenn in einer Session weder das Qualifying noch das Rennen gestartet wurden. Hier ist es ratsam, mit der Suchfunktion nach offenen Spielen in der Booking-Phase zu suchen. Ist man drin und in der Quasi-Lobby, kann es locker noch einige Minuten dauern, bis der Spaß losgeht. Und dann Qualifiying und ein Rennen mit Minimum 5 Runden. Viele fahren lieber 20 Runden. Hier zeigt sich wieder einmal, dass Assetto Corsa kein kleines Späßken für zwischendurch ist. Wer den Assetto Corsa Multiplayer spielen mag, muss Zeit mitbringen. Und Können. Das Niveau wie auch die Disziplin auf der Strecke suchen übrigens aus meiner Sicht ihresgleichen. Es sind online kaum Rowdys oder inkompetente Racer unterwegs. Hier ist soviel Kompetenz auf der Piste, dass es kaum Sinn macht ohne eine ganz ordentliche Portion Training an einer größeren Session teilzunehmen. Darüber hinaus fallen die vielen geschlossenen Rennen auf. Assetto Corsa hat seine eingeschworene Fangemeinde, die fahren unter sich und wer da mal reintauchen mag, findet zum Beispiel hier einen Anlaufpunkt.

Seine Fans schart Assetto Corsa nicht ohne Grund um sich. Es ist für heutige Zeiten eine begrüßenswert ernsthafte Rennsimulation, die ihren Spielspaß erst aus der wachsenden Lernkurve und dann dem Können zieht, dass man auf die Piste bringt. Das Drumherum, dass bei der arcadigeren Konkurrenz so wichtig zu sein scheint, interessiert bei Assetto Corsa weder den Entwickler noch die Spieler. Und wie es sich für eine Simulation gehört, ist der Schwierigkeitsgrad erst einmal hoch, aber trotzdem geht es fair zu. Assetto Corsa schickt den Spieler nicht grundlos auf´s Kiesbett, sondern das macht der Spieler schön selbst. Und wenn er aus seinen Fehlern lernt und sich an die verschiedenen Eigenheiten der Autos und Kurse gewöhnt, kann man sich wundern, wie fluffig Assetto Corsa plötzlich zu spielen ist. Und das nicht, weil das Spiel es dem Spieler schenkt, sondern weil er es sich erarbeitete. Trotzdem ist Assetto Corsa als Early Access spürbar im Alpha-Stadium. Wem der Karriere-Modus wichtig ist, sollte noch warten. Aus meiner Perspektive ist es aber ein Muster-Beispiel für einen gelungenen Early Access. Schon von Anfang an stimmte die Fahrphysik als DAS Feature bei Assetto Corsa. Der Rest wird kontinuierlich nachgeliefert, wobei der Multiplayer nun einer der größten Sprünge war. Und ich bin gespannt, was da noch kommen mag!