„Ich streite gar nicht ab, dass alle Modern Talking-Hits sehr, sehr ähnlich klingen.“, bekannte annodazumal der unnachahmlich talentierte Dieter Bohlen. Diese Ehrlichkeit und Offenheit konnte sich der schlagfertige Ostfriese angesichts von drölf Trilliarden Plattenverkäufen leisten. Die Strategie war dabei ebenso schlicht wie die Songs, nur durchtriebener: Jede ausgekoppelte Single sollte so klingen wie der Vorgänger. Fertig, aus. Mit Blick auf die Spieleindustrie könnte man, augenzwinkernd und/oder boshaft, den lieben Entwicklern von Telltale Games eine ähnliche künstlerische Ambition und Geschäftstüchtigkeit vorwerfen wie den Gesangskünstlern von Modern Talking. Die ewige Wiederholung in ganz leicht verändertem Gewand als Rezept für massiv klingelnde Kassen. Wobei Modern Talking auf den ersten Blick ein wenig unschuldiger als Telltale Games daherkommt: Während Deutschlands Jahrhundertband vornehmlich bei sich selbst klaute, bedient sich Telltale Games nicht nur im eigenen Giftschrank, sondern wendet die immer gleiche Medizin bei lizensierten und hochpopulären Marken an. Das kann man widerwärtig finden, vor allem dann, wenn man die Spiele nicht kennt.

Wenn der Dieter mit dem Thommy....und wo ist bloß Nora?
Wenn der Dieter mit dem Thommy….und wo ist bloß Nora?

Fangen wir doch mal mit dem jeweiligen Grundgerüst der ersten Erfolge an: Das wäre bei Modern Talking natürlich „You´re my heart, you´re my soul„, das ein Jahr nach der Gründung des Traumduos im Jahr 1984 (leider) erschien. Pseudoromantischer und seichter Text, kehliger Gesang, maximal kitschige Orgel und eine klare Songstruktur (Intro-Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Kotzen bei den Hörern-Strophe-Refrain-blabla) sind hier zu vermerken. Das in der Kombi mit dem niedlichen Popper-Gehabe und schwülstigen Outfit sorgte für ein geschmacklich fragwürdiges, aber extrem stimmiges Gesamtbild, welches dazu führte, dass sich der Scheiß wie frisch geschnittenes Toastbrot verkaufte.

Bei Telltale Games lagen die Dinge zumindest zu Beginn noch ein wenig anders. Gegründet von Branchenveteranen aus dem Lucas Arts-Umfeld, kommen die Entwickler aus dem guten, alten und gewachsenen Point & Click-Adventure-Genre. Und vor der ersten Hit-Single, äh, dem ersten massiv erfolgreichen Spiel, gab es u.a. mit Sam & Max schon halbwegs erfolgreiche Vorgänger, bevor mit dem Game zu Zurück in die Zukunft eine große Spielerschar etwas mit Telltale Games anzufangen wusste. Ich nicht, bei mir ging es erst mit The Walking Dead los. Zurück in die Zukunft fand ich blöde. Das Erfolgskonzept ist jedenfalls schon zu diesem Zeitpunkt zu beobachten: Was für Modern Talking der banale, bekannte und erprobte Aufbau der Songs ist, ist für Telltale Games die Grundstruktur als Point & Click-Adventure. Da genau das seit Ende der Neunziger vom Mainstream ordentlich in Richtung halbunsichtbare Nische rutschte, brauchte Telltale Games einen Verstärker: Marken, die jeder kennt und die entweder hochgradig sympathisch sind oder sich gerade auf dem Zenit ihrer Popularität befinden. Oh, wie geschickt sie doch sind bei Telltale Games!

Mythenbildung á la Telltale Games.
Mythenbildung á la Telltale Games.

Große Kunst alleine reicht nicht. Nicht mal bei Modern Talking! Haha, jedenfalls gehört noch mehr dazu, um sich in Sachen Erfolg ganz weit vorne abzuheben. Ja, Qualität ist auch richtig, dazu kommen wir später noch. Ich aber meine den Mythos. Der ist interessant, weil er manchmal sogar funktioniert, wenn jeder weiß, dass es sich eigentlich um Schwachsinn dreht. Der Ruhm von Modern Talking hat schon beinahe etwas dreifaltiges: Da waren die echten Fans, die das Duo wirklich (!) wegen ihrer Musik liebten. Also die authentischen Fans. Entscheidender waren die anderen beiden Heiligen: Und zwar waren (und sind!) es die Medien, die jeden Klatschtratsch-Mist um die deutsche Yoko Ono, auch Nora Balling genannt, sowie den Didä, Thommy & Co ordentlich hypten. Zusätzlich förderten die sogenannte Band noch die vielen, vielen Hipsters, die Modern Talking angeblich nur gut fanden, weil die eigentlich so scheiße waren. Ähnlich wie bei Guildo Horn fünfzehn Jahre später, nur hier im Ernst. Diese Energie hielt das Duo lange, lange oben.

Telltale Games dagegen spielt eine andere Melodie. Die der Freiheit für den Spieler, die doch in Wirklichkeit nur vorprogrammiert ist. Mittlerweile wissen wir ja, dass in den Telltale Games-Spielen echte Entscheidungen nicht getroffen werden, sondern nur über story-irrelevante Menschenleben (TWD, Staffel 1), Story-Nuancen (alle Telltale Games Spiele) und vor allem den Spielstil (insbesondere The Wolf Among Us, Game of Thrones und Tales from the Borderlands) pseudo-mitentschieden wird, während sich das Spiel beinahe selbst spielt und unsereins ein bisschen auf die Maus klickt. Das ist so verschlagen wie genial. Wer den Telltale-Mythos so hinnimmt, glaubt tatsächlich, ein ganz individuelles Spiel zu spielen. Bei dieser Kundschaft müsste sich Telltale Games eigentlich entschuldigen. Und dann gibt es u.a. noch die Spieler, unsereins ist so einer, die den falschen Mythos kennen, ihn weglächeln und dafür die steuerbaren Feinheiten ernst nehmen, weil sie nun mal eine Schwäche für Immersion haben (anderen ist das alles scheißegal, die spielen das runter und gut ist, das ist schon klar). So welche wie ich sind leider andererseits genau die Kultur-Banausen, die früher, oder sogar heute noch, ernsthaft meinten, dass „Cherie, Cherie Lady“ von Modern Talking kein Klon von „You´re my Heart, you´re my soul“ ist, weil der Thomas Anders den Refrain sogar noch eine Oktave höher (!) trällert. Hier ist Selbstkritik angebracht, die ich aber genauso weglächle wie all den anderen Beschiss von Telltale Games.

tales from the borderlands telltale games
Modern Talking machte aus Nichts seltsame Hits, Telltale Games aus storybefreiten Marken ordentliche Geschichten.

Also, es ist bewiesen, dass Modern Talking Talking wie auch Telltale Games arg kalkulierend bestimmte Erfolgstrukturen in schier endlose Wiederholungsschleifen zwäng(t)en, um die ganz große Kohle zu machen. Es sei ihnen, aber dem einen mehr als dem anderen, gegönnt. Denn es gibt noch die eine Frage, die geklärt werden muss und es ist keine unwichtige. Die der Qualität. Versuch einer Klärung in einem rhetorischen Frage-Antwort-Spiel: Auf wen passt der verzweifelte Schrei „Das ist doch immer der gleiche, verf*ckte Scheiß!“ besser? Aha. Nächste Frage: Wobei lief einem mehr Angstschweiß über den Rücken, bei der Best-Of von Modern Talking oder einer beliebigen Episode von The Walking Dead? Okay, ich ziehe die Frage zurück, die ist zu uneindeutig. Nehmen wir lieber diese: Welches Produkt berührt eher den tiefen Kern des Konsumenten und lässt ihn über Sein, Vertrauen in Mitmenschen und Ethik rätseln? Genau, das sind die Telltale Games-Spiele und das liegt eben an der Qualität. In Sachen Technik spielen beide nicht in ihrer jeweiligen ersten Liga, aber was das Storytelling angeht, spielt Telltale Games führend in der Champions League mit, während sich Modern Talking, wenn man sich ihre Songtexte anschaut, dann wohl eher mitten im Abstiegskampf der hinterletzten Säufer-Kneipenliga abmüht.

Das zeigt: Die Methode sagt nur bedingt etwas über das Ergebnis aus. Besonders bei Tales of the Borderlands schaffte es Telltale Games, einer Marke zusätzliches Leben einzuhauchen. Auch wenn dieses Spiel vom Geiste eher Zurück in die Zukunft als den düsteren Vorgängern oder Game of Thrones als Folgemarke ähnelt, schaffte das Studio tatsächlich etwas Neues im Bekannten herzustellen. Das gelang, meines Wissens nach, Modern Talking nicht. Und auch deswegen schätze ich Telltale Games sehr und Modern Talking so gar nicht. Zusätzlich möchte ich abschließend feierlich feststellen, dass ich die einen mag, weil sie intelligente Produkte herstellen und ihnen deswegen die massig verdiente Kohle gönne, während den von mir zu verdammenden anderen die Güte des Produkts am A… vorbei geht, weil die Hauptsache einfach nur der Zaster ist.