Die Welt kann ungerecht sein. Da vergreift sich Telltale Games endlich an der Comic- und TV-Vorlage von The Walking Dead und es scheint niemanden so recht zu interessieren. Vor drei Jahren hätte das noch anders ausgesehen. Sollte meine Beobachtung korrekt sein, gilt das übrigens auch für die neue „Batman-Auskopplung“.  Spätestens mit der zweiten Telltale-Staffel von The Walking Dead scheint sich eine gewisse Müdigkeit breit zu machen, was angesichts Qualität der Storys bedauerlich, aber mit Blick auf das gnadenlos repetitive Gameplay auch verständlich ist. Mich interessiert Batman schon, aber erst im Sale. Soweit ist es schon gekommen.

Bei The Walking Dead: Michonne habe ich pünktlich zum Release zugegriffen und das werde ich aus alter Verbundenheit auch bei Clementine´s dritter TWD-Staffel machen. Und es hat sich durchaus gelohnt, in Telltale´s dreiteiligen Michonne-Abstecher zu investieren. Für meinen Geschmack ist es seit der ersten The Walking Dead-Staffel die beste Arbeit, die Telltale vorgelegt hat. Sehr ordentlich erzählt, technisch beinahe gelungen, perfekt in die Spielwelt integriert und sogar die Fake-Entscheidungen wurden vergleichsweise klein gehalten (wenn sie auch z.T. aus bestimmten Grund erfreulich groß geraten sind, siehe unten). Einen kleinen Haken hat die Geschichte leider schon. The Walking Dead: Michonne hat mit der Michonne aus The Walking Dead leider annähernd nichts zu tun. Nichts in beinahe jeder Hinsicht.

twd michonne

Michonne vs. Michonne

Dass die Telltale-Michonne weder dem Comic-Vorbild noch dem TV-Ebenbild wirklich ähnlich sieht…das schenken wir uns mal, denn so grobschlächtig wie die Engine nur mal konstruiert ist, war auch nichts anderes zu erwarten. Aber Michonne wirkt nicht nach Michonne, was schon eher ein Problem ist. Das hat einerseits mit der Ausstrahlung zu tun, andererseits aber auch mit ihrem Handeln. Die Telltale-Michonne ist weitaus frontaler traumatisiert vom Tod ihrer Kinder – was der Story wunderbare neue Möglichkeiten eröffnet, die auch treffsicher genutzt werden, trotz gewisser Übertreibungen. Womit ich auf die hervorragenden Halluzinations-Sequenzen anspiele, die mir – für sich allein stehend betrachtet – außerordentlich gut gefallen. Nur passt es halt nicht in den TWD-Kanon.

Was da hilft? Ignoranz, zum Beispiel. Bei mir drückte sie sich als eine Art Verweigerung der  fiktionalen Realität aus. Das äußerte sich dahingehend, dass ich schon ungefähr in der Mitte der ersten Episode beschloss, das „meine“ Telltale-Michonne nichts mit der Comic- und TV-Michonne zu tun hat. Außer der Hautfarbe und der Machete. Wunderbarer Weise funktioniert dann das Spiel weitaus besser und wirkt inhaltlich runder, als wenn man immer verzweifelter die Telltale-Michonne mit den anderen Michonnes vergleicht. Das führt zu nichts. Den Ärger kann man sich sparen.

Damit wird der Blick frei auf das Abenteuer von Michonne, dass für Telltale´sche Verhältnisse sehr stringend erzählt wird, ohne oberflächlich zu sein. Michonne schließt sich, latent missmutig und stimmungstechnisch dauermotzig, einer kleinen Bootscrew an und lernt, dass kleine Ausflüge große Konsequenzen haben können. Und es ebenso nicht so ganz eindeutig ist, wer nun zu den Guten und zu den Bösewichtern zählt, was vom Timing äußerst interessant konstruiert wurde, da Rick in der TV-Serie schließlich auch erst Negan vor´s Schienbein tritt, bevor dieser sich (überbordend) rächt. Bei The Walking Dead kann die eine Handlung aus verschiedenen Perspektiven völlig konträr interpretiert und bewertet werden und genau das findet sich auch in The Walking Dead: Michonne wieder.

Wenn das Böse einen Grund hat böse zu sein, ist die Wirkung eine andere, als wenn das Böse einfach nur böse ist, weil das Böse nun mal böse ist. Die Zuspitzung mit Beginn des Finales der vorletzten Episode, als die Grenzen zwischen Jägern und Gejagten immer mehr verschwimmen und der Spieler die Möglichkeit erhält, Michonne´s dunkler Seite den ganzen unschönen Raum zu geben, der einfach nur möglich (aber nicht wünschenswert) ist, gehört für mich mit zu den stärksten Momenten aller Telltale-Episoden aller Spiele – denn es hebt die Entscheidungen, die quasi im Namen der Charaktere gemacht werden, auf eine völlig neue Ebene. Mir blieb die Wahl, zumindest theoretisch, Michonne´s Persönlichkeit großen Schaden zuzufügen. Dass unter dem Strich nicht das komplette Videospiel ein anderes Ende erhalten hätte, versteht sich von selbst. Aber es wäre eine andere Michonne gewesen, die dieses Finale erlebt hätte.  

Batman macht diese Evolution im Storytelling für mich nicht interessanter. Aber die dritte Staffel von The Walking Dead dafür umso mehr. Clementine dürfte so langsam das Teenie-Alter erlebt haben und dank all der kau zählenden Wunden, würde es mich nicht überraschen, wenn die Telltale-Michonne eine Art Blaupause der „neuen“ Clementine wäre. Käme es so, und das über die eine komplette Staffel hinweg, würde Telltale doch einmal so etwas wie eine Revolution ihres immergleichen Spielprinzips gelingen, wenn auch in einem zuvor nicht zu erwartenden Zusammenhang.  Denn wer immer noch hofft, dass die Entscheidungen in Telltale-Spielen tatsächlich „echte“ Entscheidungen werden.