Ein Shooter zum losbrüllen…wer hätte gedacht, dass dies mit Far Cry 3 Blood Dragon jemals ein Actiontitel aus dem Far Cry-Franchise von Ubisoft erreichen würde? Dass überhaupt noch kreative Shooter mit Sarkasmus-Potenzial auf den Markt kommen? Während Far Cry 3 in bestechend hervorragender Weise alle bekannten und genretypischen Gameplay-Mechaniken integriert und dabei nichts, aber absolut nichts Neues bietet, schlägt Ubisoft mit Far Cry 3 Blood Dragon einen anderen Pfad ein: Weg mit der langweiligen Ernsthaftigkeit sowie dem heutzutage leider minimierten Risiko und hin zu einem eigenständigen, augenzwinkernden, selbstironischen und urkomischen Abenteuer. Wenn man so will, hat sich der Entwickler Ubisoft Montreal in dem Maße direkt selbst parodiert, wie es Volition Inc. (bzw. mittlerweile Deep Silver Volition) mit seiner grandiosen Saints Row-Reihe mit Rockstar´s Grand Theft Auto-Franchise machte. Den ersten Rezensionen zufolge scheint Far Cry 3 Blood Dragon bei den Kritikern sehr gut anzukommen (auch bei mir, ein ausführliches Gameplay-Review folgt), es ist mit rund 15 Euro für ein Standalone-DLC preislich mehr als fair angesiedelt und zeigt erfreulicher Weise, dass sich Mut und Kreativität tatsächlich auch im Jahre 2013 noch in der Video Game-Branche auszahlen können.

Das persiflierte 80er-Jahre-Setting mit all seinen grellen Neontönen ist schon bemerkenswert genug, aber Ubisoft Montreal war sich nicht zu schade, einige Retro-Elemente früherer Zeiten in die Menüs einzubeziehen, wie etwa den ewig langen Datasetten-Gedächtnis-Ladebildschirm zu Beginn oder die getürkte VHS-Spurkorrektur in den Ladesequenzen. Und so geht es weiter: Der Cyber-Soldaten-Held mit Terminator-Auge heißt Sergeant Rex Power Colt, wird vom KI-Kollegen als Schnullerbacke bezeichnet und packt sich nach dem ersten Bewaffnen erst einmal frontal ans Gemächt. Es gibt eine Dr. Darling (mit leichtem Brigitte Nielsen-Touch) und platte Sprüche am Fließband, die nicht nur saukomisch sind, sondern so ähnlich oder exakt so fester Bestandteil des aus heutiger Sicht trashigen 80er-Jahre-Actionkinos waren. Ich befürchte, dass damals einiges ernst gemeint wurde, was heute absurd klingt, wie etwa dieser Bösewicht-Spruch: „Macht ist eine gemeine Schlampe, aber sie ist eine Wildkatze im Bett.“

Far Cry 3 Blood Dragon 1

IQ-Test für Call of Duty-Fans oder was? Far Cry 3 Blood Dragon beschert uns eine neue Kunstform: Das ironische Tutorial, das mit dieser „Bekanntmachung“ grandios eingeleitet wird.

Nach dem Tutorial zum wegschmeißen, das neben einigen wunderbaren Allgemeinplätzen („Sehen Sie sich um, um sich umzusehen“) und genervten Kommentaren von Sergeant Rex Power Colt letztlich in einer apokalyptischen Flut von Texttafeln mündet, erkennt man recht schnell, dass sich Ubisoft bei Far Cry 3 Blood Dragon letztlich aus dem Far Cry 3 erprobten Gameplay-Fundus bediente, sie in einen Kreativitäts-Mixer warf und die Einzelteile gekonnt zusammenbastelte – mit dem unverbrauchten 80er-Jahre-Retro-Feeling als Klammer. Das funktioniert tadellos. Sogar derart gut, dass Far Cry 3 Blood Dragon frischer wirkt als sein eigenes Hauptspiel (das aber mit dem ausgeprägteren Open World-Feeling andere Stärken vorweisen kann).

Far Cry 3 Blood Dragon: eine gekonnte Illusion einer Innovation

Natürlich könnte der Schuss auch in den Ofen gehen. Aber die Erfahrung der letzten Jahre lehrt, dass Transformationen einer Spielidee nur dann funktionieren, wenn das Ergebnis bzw. der Nachfolger nicht simpler ist als sein(e) Vorgänger (mit Mass Effect als Ausnahme, zumindest aus meiner persönlichen Sicht). Ob Resident Evil oder Dead Space – viele Serien tauschten ihre Alleinstellungsmerkmale gegen den vermeintlichen Zeitgeist ein (mehr Action und kaum Situationen, die intensive und „schwierige“ Emotionen beim Spieler hervorrufen), erlitten Schiffbruch an der Kasse und ernteten Kritik in der Fachpresse. Far Cry 3 Blood Dragon beweist, dass es auch anders geht: Witz statt Muskeln und Eigenständigkeit versus Stromlinienförmigkeit. Das Retro-Feeling bricht die altbekannten Spielerfahrungen auf und lässt Neues erleben – zumindest wirkt es so und es ist schon bezeichnend, dass die gekonnte Illusion einer Innovation so haushoch dem bekannten Gameplay überlegen ist. Das spricht gegen weite Teile des AAA-Marktes, aber auch dafür, dass bei Ubisoft Montreal wahre Könner am Werke sind.

Far Cry 3 Blood Dragon 2

Nach dem Gemetzel gibt´s den Cyber-Mittelfinger. Man drücke dafür nur R3.

Neben der Gefahr eines kommerziellen Schiffsbruchs ging Ubisoft zusätzlich das schwer zu kalkulierende Risiko ein, dass Kritiker wie Spieler mit dem Action-Kino der 80er-Jahre wenig anfangen können. Welcher Teenie schaut heute schon die ersten Teile vom Terminator oder Predator? Far Cry 3 Blood Dragon wäre nicht der erste größere DLC, der unter einem Aufmerksamkeitsdefizit leiden würde. Man denke da nur an Joe´s Abenteuer von Mafia 2, bei dem die Entwickler den anderen Weg gingen: Man bietet den Kunden absolut nichts Neues und speist ihn mit altbekannten Missionen ab. Gut so, wenn inspirationslose Zusatzmissionen scheitern. Intensivere und neuartige Erlebnisse, die sich vom Vorbild deutlich abheben, könnten nach Far Cry 3 Blood Dragon möglicherweise Schule machen. Spannend wird es zu beobachten sein, ob Humor zukünftig eine größere Rolle spielen wird als es aktuell der Fall ist.

So reiht sich Far Cry 3 Blood Dragon also in die leider noch kleine Riege von Experimenten mit AAA-Größe ein. Bioshock Infinite lasse ich mal raus aus dieser Aufzählung, denn das spielt dank seiner letzten halben Stunde eh in seiner eigenen Liga. Während Saints Row: The Third völlig zu Recht an der Kasse glänzte und ich mich auch mehr auf Saints Row 4 als auf GTA 5 freue, blieb das vielleicht mutigste Projekt der letzten Jahre irgendwo zwischen Kritikerlob und Kassenflop stecken und geriet leider in Vergessenheit. Gemeint ist Spec Ops: The Line, dass sein Genre nicht parodierte, sondern knallhart versuchte der Realität anzunähern und den Spieler mit seinem Handeln brutalst möglich zu konfrontieren. Wie es scheint, ist die Branche (immerhin!) heutzutage bereit für Selbstironie auf hohem Niveau, aber noch nicht für die schonungslose, offene Konfrontation mit der harten Wirklichkeit.