Wir schreiben das Jahr 1604. Ort: Die Neue Welt. Tatsächlich. Für einen Shooter ist 1604 ein eher ungewöhnlicher Jahrgang, was genauso für den Background von Betrayer gilt. Allein auf uns gestellt untersuchen wir den seltsamen Niedergang einer Kolonie an der Küste von Virginia, bei der geheimnisvolle Vorgänge dafür sorgten, dass sie zwar menschenleer, aber dennoch nicht so ganz verlassen ist. Dieses Rätsel gilt es in einem Ambiente zu lösen, dass wenigstens genauso mysteriös wie seine Geschichte ist. Man schaue nur auf die Screenshots. Betrayer ist für sein Genre optisch ein Genuss, spielt als Indie aber natürlich nicht annähernd in der Opulenz-Liga von Battlefield 4, sondern geht seinen eigenen, hochkreativen Weg beim Style, Design und Optik.

Betrayer hatte ich recht früh auf dem Radar, schon als es vor einigen Monaten als Early Access-Spiel bei Steam erschien. Aber irgendwas störte mich, es sah zu gut dafür aus, als das ich im Vorfeld nichts davon gehört hatte - also musste da zwangsweise ein Haken sein. Wunderschöne Verpackung, luftiger Inhalt, so in dieser Richtung. Arroganz, Arroganz, und gänzlich fehl am Platz, wie sich herausstellen sollte. Mit einigen Wochen Verspätung erstand ich Betrayer dann doch und der einzige wirklich relevante Kritikpunkt an dem Spiel ist eigentlich nicht einmal einer. Nach größeren Updates verfallen die Spielstände und es muss neu begonnen werden. Das war schon frustrierend, aber nach dem ersten Ärger sehe ich ja ein, dass eine Alpha das darf. Ansonsten: Das Genre wird vom Gameplay her mit Betrayer nicht neu erfunden, aber um ein sehr ansehnliches, kreatives und interessantes Exemplar bereichert.

Das Fort. In Schwarz-Weiß. Wer mag, kann in den Optionen noch einen Grünstich hinzufügen. Mir persönlich gefällt der S/W + Stanley Kubrick-Rot-Look von Betrayer im Original sehr gut.

Das Neue Welt-Setting ist verglichen mit der Optik nicht ganz so deutlich zu entziffern. Aber es geht bei diesem kreativen S/W-Look nicht nur um das Visuelle an sich. Man möge im Fort an der Glocke bimmeln und sich wundern. Letztlich sieht Betrayer so aus wie Betrayer aussieht, weil in der Kolonie etwas ganz ernsthaft nicht stimmt. Wer als 08/15-Shooter-Freund nicht auf die Story achtet, sondern nur verzweifelt und noch verzweifelter darauf wartet endlich (!) losballern zu können, wird spätestens durch den Lost-Gedächtnis-Nebel darauf hingewiesen, dass wir mysteriösen Pfaden folgen. Story und Style begleiten uns in Betrayer Hand in Hand und ich muss sagen, dass die Kombination so ungewöhnlich wie faszinierend ist.

Betrayer: Der Lack glänzt

Der Geschichte zu folgen ist nicht ganz so simpel und das soll es auch nicht sein. Wir finden Zettel und Notizen, die uns eher eine Ahnung von dem geben, was im Fort geschah, als das wir handfeste Informationen erhalten. Da Betrayer frei begehbar (aber storytechnisch dennoch linear aufgebaut) ist, liegt es an dem Spieler selbst, wie viel Zeit er sich bei der Spurensuche nehmen oder die Spielwelt ausführlich erkunden möchte. Wo das alles hinführen mag, steht noch nicht fest, Betrayer ist work in progress und ich bin schon gespannt, wie konfus oder stimmig uns das Schicksal der Kolonie und die weiteren Erlebnisse unseres Helden erzählt werden.

Alleine im düsteren Wald. Nur das Rot ist sehr, sehr rot.

Wer auch immer einem Shooter vorwerfen will ein Shooter zu sein, der werfe bitte einen Stein in Richtung Betrayer. Angefangen mit dem (noch?) trendigen Pfeil und Bogen sowie später mit Pistolen und Musketen kämpfen wir uns in unserem Abenteuer voran, wobei an dieser Stelle sichtbar wird, dass sich das Budget für den Entwickler Blackpowder Games in Grenzen hielt. Ob Animationen oder KI: Ein wenig arg hakelig wirken die Gegner, wenn sie sich auf uns stürzen. Mag ja sein, dass die Gegner von einer geheimnisvollen Macht besessen sind, aber dennoch würde der KI ein wenig mehr Eleganz gut zu Gesicht stehen. Wobei der Sound - beim Ächzen der Soldaten ebenso wie beim Wind - dagegen phantastisch ist. Das Aiming und Handling gehen in Ordnung, aber so einige Male wunderte ich mich, wie wie zeitweise gut und anschließend schlecht die Gegner hören. Man wähnt sich in Sicherheit und ist kurz darauf tot und geht in der folgenden Runde besonders vorsichtig vor, um dann nur von Vollpfosten umgeben zu sein. Wie dem auch sei: Als Alpha-Version darf Betrayer auch das und mit den Updates tut sich ja einiges.

Bevor Zweifel aufkommen: Betrayer ist als Early Access sehr gut spielbar; nur noch nicht ganz finalisiert und arg roh an manchen Stellen. Dennoch ist es eine sehr interessante Spielerfahrung, bei der mir das Ambiente besser gefiel als das Gameplay, wobei Letzteres das Erstere nicht im Mindesten aufhebt. Wer kein poliertes AAA-Wunderwerk erwartet, sondern gerne in mysteriöse, geheimnisvolle und interessante Spielwelten abtaucht, wird sicherlich seine Freude mit Betrayer haben.