Das letzte Spiel in der Reihe der AAA-Produktionen, das mit einer großartigen Inszenierung und einer erwachsenen Story punktet, ist The Last of Us und es krankt gleichzeitig wie alle anderen Blockbuster-Titel der jüngeren Vergangenheit an einem erstaunlichen Innovationsstau in Sachen Gameplay. Es entsteht mit Blick auf Tomb Raider & Co. langsam der Eindruck, dass auf der einen Seite Atmosphäre, Geschichten und Immersion einen immer größeren Raum einnehmen und durchaus anspruchsvoller werden, während die Entwickler andererseits durch ein stereotypisches Gameplay und niedrigen spielerischen Anspruch die Kundschaft um jeden Preis von oberflächlichen Frusterlebnissen fernhalten wollen. Dabei wird scheinbar eine generelle Langweile, die beim Genuss der Blockbuster verstärkt aufkommt, geflissentlich in Kauf genommen, was auf Dauer bei kostenträchtigen Großproduktionen á la Bioshock: Infinite und Konsorten nicht gut gehen kann.

Mit Blick auf die Gameplay-Kernmechaniken der AAA-Titel fällt auf, dass besonders bei den Regeln nicht einmal mehr Stagnation, sondern Gleichförmigkeit und Rückschritte im Anspruch zu beobachten sind. Die erste Grundregel heißt: Lasse dich vom Spiel lenken. Bei Tomb Raider muss sich der Spieler massiv anstrengen, um bei den zahlreichen Kletterpassagen abzustürzen. Hier bestellte das Uncharted-Franchise das Feld, in dem völlig unsinnige farbige Markierungen den Weg wiesen und extrem eng getaktete Speicherpunkte nicht einmal einen Hauch an Enttäuschung zuließen, wenn man doch mal daneben sprang (was schwer genug war), weil man zumeist direkt vor der Aktion wieder respawnte. Remember Me, das ich aus rein künstlerischer Perspektive schätze wie kaum ein anderes Spiel in den letzten Jahren, setzt sogar noch einen drauf, indem es dem Spieler mittels Pop-Ups inklusive Distanzanzeige auf den Zentimeter genau zeigt, wohin er springen muss. So wird das Scheitern zur größten Herausforderung im Spiel. Gameplay-Regel zwei: Was die Augen und Ohren nicht können, schenkt dir das Spiel durch Magie. Auch bei Tomb Raider gibt es diesen mittlerweile schon nervenden Special-Magic-Blick, der in jedem aktuellen AAA-Spiel anders heißt, aber dem es überall gleich ist, dass man durch Wände schauen und Gegner oder Wege entgegen jeder Logik dieser Welt meist ohne Hilfsmittel markieren kann. Was bei Assassin´s Creed anno 2007 noch innovativ war, ist heute halt langweilig. Bei The Last of Us gipfelt dieses so genannte Gameplay Feature darin, dass der Lauschmodus weder etwas mit Lauschen oder Schleichen zu tun hat, sondern nur mit einem Specialblick, bei dem man - optisch frappierend an Hitman: Absolution erinnernd - Gegner durch Wände sieht. Wenn nicht einmal mehr die Bezeichnung stimmig für das Gameplay ist, läuft etwas schief.

Sammeln, Upgraden, durch Wände schauen. Drei Gameplay-Merkmale, bei denen mindestens zwei von ihnen in jedem AAA-Action-Titel der letzten zwei Jahre Pflicht zu sein scheinen.

Noch einmal stand Assassin´s Creed, dieses Mal Teil 2, Pate für eine andere Gameplay-Regel, die zu einem Musterbeispiel an Beliebigkeit mutierte: Stiehle dem Spieler so viel Lebenszeit wie es nur irgendwie geht, indem du ihn endlos unsinnigen Kram sammeln lässt. Kein großes Action-Spiel seitdem, in dem nicht irgendwo Federn, Bücher, Kassetten, Disketten, Artefakte oder sonstiger Krimskrams gefunden werden muss, um anschließend die immergleichen Fähigkeiten upzugraden. Da lobe ich mich mir die Ehrlichkeit und Fairness der Elder Scrolls-Reihe, die den Spieler zwar mit schier unendlichem Hintergrundmaterial versorgt, dafür aber das Finden nicht zur Pflicht macht. Die paar Bücher, die eine Fähigkeit um einen Bruchteil verbessern, sind der Rede in Oblivion und Skyrim kaum wert - vor allem vor dem Hintergrund der inhaltlichen Tiefe, für die sie stehen. Far Cry 3 ging einen anderen Weg, indem es seine an sich schon komplett nebensächliche Hintergrundgeschichte vom Krieg auf der pazifischen Spielwelt-Insel persiflierte, in dem Zettelchen zu finden waren - was nur selten herausfordernd ist - die eher das Spiel selbst auf die Schippe nahmen als die dort als extrem blöde dargestellten Japaner.

Modernes Gameplay in Shootern: Nicht ohne Pfeil und Bogen

Ob sich die Crytek-Jungs wohl von Ubisoft veräppelt fühlten? Während Crytek über Monate massiv mit Pfeil und Bogen als ganz, ganz große Gameplay Innovation für Crysis 3 Marketing machte, wurden sie nur wenige Wochen zuvor still und geräschlos bei Far Cry 3 als völlig normale Waffe eingeführt, die kaum weiter der Rede wert war, sich dafür aber weitaus stimmiger anfühlte als später bei Crysis 3 selbst. So kann man sogar ganz lässig bei Regel Nr. 4 glänzen, die da heißt: Nicht ohne Pfeil und Bogen. Und wo gibt es sonst noch Pfeil und Bogen? Genau, in Tomb Raider und natürlich auch in The Last of Us. In dieser Beziehung schert nur Remember Me aus, das dafür an anderer Stelle (Kampfeinlagen) nicht begeistern kann. Was vor wenigen Jahren noch die Zielhilfe war, ist nun die Ähnlichkeit im Waffenarsenal. Es gibt kaum Unterschiede im Gameplay und allen genannten Spielen ist es gleich, dass es nicht sonderlich schwer ist, eine Armada von Gegnern mal kurz im Alleingang zu erledigen (wobei The Last of Us diesbezüglich schon anspruchsvoller als die restlichen Spiele ist). Kurz können wir es bei der fünften Gameplay-Regel machen: Lass dir XP schenken, um dir mit Upgrades das Spiel noch leichter zu machen. Hier ist The Last of Us für mich die größte Enttäuschung, weil diese Upgraderei zum Spiel am wenigsten passt. Skyrim macht es gut, weil die Fähigkeiten größtenteils vom individuellen Spielstil abhängen und nicht von einem linear konzipierten, aufdoktrinierten Gameplay-Fähigkeitenbaum.

gameplay bioshock infinite

Das hervorstechendste Beispiel für eine großartige Atmosphäre, die durch inadäquates Gameplay in Form brachialer Gewalt beinahe kaputt gemacht wird. Bioshock Infinite.

Die letzte Regel befolgt ebenso der komplette AAA-Mainstream: Lote unsinniger und unstimmiger Weise die Grenzen der Gewalt aus und versuche so dein Publikum so niveaulos wie möglich zu schocken. Der Screenshot aus Bioshock Infinite ist nicht zufällig gewählt. DAS ist Kunst. Die später im Spiel dargestellte Gewalt ist einfach nur kreuzblöde und ärgerlich, was ebenso für The Last of Us gilt, weil intelligente Stories wirklich, wirklich nicht frontal präsentierte Gewalt benötigen, außer sie sind für die Story essentiell. Aber wann ist das schon mal der Fall? Zumindest hilft die Gewaltdarstellung dem Spieler dabei, dass es keine Missverständnisse beim Feedback gibt. In jedem AAA-Spiel weiß man genau, wie gut man ist, da hilft die visuell-frontale Trefferabfrage ebenso wie massig XP für jede noch so kleine Handlung.

Gameplay vs. Immersion

Geradezu traurig ist das Gameplay-Einerlei auch deswegen, weil in einigen Spielen durchaus großartige Entwicklungen zu feiern sind. Die Stories von Bioshock Infinite und The Last of Us sind über den guten alten Verdacht erhaben, dass sie nur Mittel zum Zweck für Schießereien sind. Da ist es gefühlt anders herum: Die Spielwelten sind derart perfekt modelliert und der Grad an Immersion so hoch, dass beides kaum noch durch ein adäquates Gameplay eingefangen werden kann. Bestes Beispiel ist dafür Remember Me: Das dort präsentierte Neo-Paris ist ein wahres Kunstwerk, ein ästhetischer Genuss und grandios durchgestylt. Man wird nur den Eindruck nicht los, dass der Entwickler Dontnod nicht so recht wusste, was er mit seinem Kunstwerk anfangen soll. Wirklich jedes Gameplay-Element wirkt angeklatscht und künstlich. Trotzdem lohnt sich Remember Me, weil es ein Fest für die Augen und Sinne ist, aber auch nur deswegen, nicht weil es ein gutes Spiel darstellt.

Gameplay Remember Me

Zu schön für die Augen, zu schlecht für´s Gamepad. Remember Me.

Und damit kommen wir zu den Spielen, die überzeugen können und das sind dann die AAA-Spiele, die ursprünglich als B-Spiele konzipiert wurden. Dear Esther, Journey, DayZ etc. starteten beispielsweise mit großen inhaltlichen, zum Teil künstlerischen und spielerischen Ambitionen der Entwickler, aber mit niedrigen Erwartungen bezüglich des kommerziellen Erfolgs. Hier zeigt sich: Sind Könner am Werk und konzentrieren sich auf ihre Spielwelt, eine konkrete und ganz individuelle Spielidee sowie einem dazu adäquaten Gameplay, funktionieren sogar Außenseiter-Titel wunderbar. Vielleicht lernt die Industrie wieder diese Qualitäten anstelle der vermeintlichen Faulheit des möglicherweise gar nicht mehr so häufig anzutreffenden strohdoofen Pseudo-Durchschnittsspielers in den Vordergrund zu stellen.

Jedoch nähert sich mit der neuen Konsolengeneration ein weiteres Gameplay Feature am Horizont, bei dem mir geradezu Angst und Bange wird. Social Gedöns. Die Highscore-Teilerei bei Facebook, Twitter & Co. geht mir heutzutage schon latent auf den Keks. Latent auch nur deswegen, weil so einen Kram kaum jemand wirklich nutzt. Nun scheinen sich aber derlei Protzereien inklusive Video-Mitschnitte als neuester Schrei zu etablieren. Um Gottes Willen. Vielleicht schält sich ein Genie heraus, dass Sharing-Funktionen sinnstiftend und vielleicht sogar innovativ zu nutzen weiß, aber ich befürchte eher Schlimmes. Es könnte sein, dass die Spieler noch händeringender auf B- und Indie-Spiele hoffen müssen, die ihren eigenen Weg gehen.