Zwiespältige Gefühle irgendwo zwischen Vorfreude und erwartbarer Enttäuschung begleiteten die erste Episode von The Walking Dead Staffel 2 namens All that remains. Vorfreude, weil die erste Staffel von The Walking Dead eines der größten spielbaren Erlebnisse der letzten Jahre war und ich natürlich gespannt bin, wie es weitergeht. Und das nun mit Clementine nicht mehr als Sidekick, sondern in tragender Rolle. Einerseits ist es ein erfreuliches Wiedersehen, andererseits stellt sich die Frage, ob die Geschichte von Lee und Clementine nicht schon zu Ende erzählt wurde - und mit einer Fortsetzung die Story nicht eher verschlimmbessert denn sauber weitergesponnen wird. Denn: Auch wenn The Wolf Among Us sicherlich seine Qualitäten hat, fällt doch auf, dass Telltale Games nichts grundlegend Neues oder Innovatives mehr seit den ersten Episoden der ersten Staffel von TWD eingefallen ist. Der Mix aus emotionaler Story, guten Dialogen, ein wenig Action sowie mal mehr und mal weniger relevante Entscheidungsfindungen seitens des Spielers scheint ja zu funktionieren. Noch.

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Waren in der ersten Staffel große Themen wie Freundschaft, Ehrlichkeit, Vertrauen und Fürsorge deutlich erkennbar im Mittelpunkt der einzelnen Geschichten und Dialoge, fährt The Walking Dead Staffel 2 diesbezüglich einen Gang hinunter. All that remains ist (mal wieder) mehr ein storylastiges Road-Movie mit bekannten Zutaten. Und das wird - zumindest aus meiner Perspektive - langsam zu einem ermüdenden Problem. Eine Bindung zu Charakteren findet doch kaum noch statt, wenn man schon beim ersten Dialog mit Clementine mit ihrem baldigen Ende rechnet. Und unter Zeitdruck zwischen zwei ganz schlechten Alternativen entscheiden zu müssen, nimmt bei der gefühlten dreizehnten Variation der schrecklichen Szene auf der Farm von Staffel 1 - als man sich entscheiden musste, wer gerettet wird und wer sterben muss - emotional nicht mehr so mit wie damals. Darüber hinaus stampft Telltale Games den Schwierigkeitsgrad bei den wenigen spielbaren Passagen merklich ein (oder ist es nur Routine? Ganz sicher bin ich mir nicht) und degradiert den Spieler mehr und mehr zum pseudoaktiven Beobachter. Wären da nicht diese wunderbaren Charakterzeichnungen, die hervorragenden Dialoge, die spannende Story und diese so authentisch wirkende The Walking Dead-Welt, würde ich mich wohl fragen müssen, ob es noch Sinn macht, dem Spiel weitere Chancen zu geben.

Alleine im dunklen Wald. In The Walking Dead Staffel 2 gibt es ein intensives Wiedersehen mit Clementine, die nun der „spielbare“ Charakter ist.

Auf der Storyebene funktioniert All that remains wunderbar. Mit Christa und Omid als Sidekicks der ersten Minuten fühlt man sich ein Stück weit zu Hause, wenn man so will, und wird auch mit einer brachialen Wucht in diese The Walking Dead Staffel 2 gepfeffert. Man mag das Spiel nun aus der Perspektive eines jüngeren Mädchens spielen, aber friedlicher wird es deswegen nicht. Wer jetzt erst in das Franchise einsteigt, dürfte sich massiv wundern, die Fans der ersten Stunde nickend dagegen wissend. Eine der größten Stärken des ersten Drittels sind meiner Auffassung nach übrigens die Storylöcher, die hier als eine Art trauernde Streicher im Hintergrund dem Ganzen eine spürbare Tiefe geben. Oder wisst ihr genau, was mit Christa´s Baby geschah?

The Walking Dead Staffel 2: Missing Gameplay

Lee habe ich immer dann in Dialogen erwähnt, wenn mir das Spiel die Möglichkeit dazu gab. Das weiß ich zu schätzen, dass Telltale Games auf atmosphärischer Ebene den Spieler „sein eigenes“ The Walking Dead spielen lässt. Nicht jeder Satz und jede Entscheidung muss ihre tiefgreifenden Konsequenzen haben, aber mancher Konflikt duftet in All that remains zu früh zu sehr nach einem real linearen Finale, bei dem wir letztlich nur darüber befinden, ob Zuckerguss, Salz oder Pfeffer beigemischt wird. Während Clementine´s Odyssee durch den dunklen Wald gar keine Wahlmöglichkeiten lässt, stehen im weiteren Verlauf wieder die typischen Konflikte an. Die Fragen Vertrauen ja/nein, Heimisch werden ja/nein sind altbekannt und auch wenn die Geschichte sauber weitererzählt wird, pushen die Konflikte eben nicht mehr so intensiv. Was auch für die so genannten Gameplay-Elemente gilt.

Clementines traurige Vergangenheit. Auch in The Walking Dead Staffel 2 trägt sie die Last einer ganzen Welt förmlich auf ihren schmalen Schultern, wird dabei aber zusehends erwachsen.

Spielerisch betrachtet ist The Walking Dead weiterhin zumeist ein Point & Click-Adventure in seinen kurzen Gameplay-Phasen. Unterbrochen werden die arg simplen und auf maximale Dauer geschliffenen „Nutze A mit B“-Rätsel von Quicktime-Events. Das ist es schon. Sehr wenig, sogar zu wenig und dann noch redundant bis in die Haarspitzen. Es ist The Walking Dead Staffel 2 und nicht die zweite Episode der ersten Staffel, da sollte Telltale Games schon mehr einfallen, als nur brutaler zu werden. Spielten sich zu Beginn der Serie die grausamsten Szenen noch im Kopf des Spielers ab, werden sie uns nun auf dem Silbertablett serviert. Ich weiß nicht wie oft man die Schädel der Untoten pulverisieren musste, für meinen Geschmack wäre weniger mehr gewesen. Und warum um Himmels Willen wir selbst spielen (!) müssen, wie sich Clementine verarztet und den Arm näht, erschließt sich mir so gar nicht. Die Differenz zwischen tiefgründiger Story und simpel-brutaler Action nimmt immer größere Ausmaße an, was mir nicht unbedingt schmeckt.

Trotzdem bin ich gespannt darauf, wie es weitergeht. Die Story ist zu gut und die Charakter zu ausgefeilt, um einfach Schluss mit der The Walking Dead Staffel 2 zu machen. Ärmer wurde ich nur um ein paar Illusionen bezüglich einer Weiterentwicklung der Serie. Die findet nicht statt und mit Blick auf die nächsten Episoden erwarte ich auch nicht annähernd grundlegend Neues im Storyaufbau oder Gameplay. Aber: Technisch sollte Telltale Games wieder auf den Stand der 400-Days-Erweiterung gelangen (die sich mir inhaltlich auch nach All that remains immer noch nicht erschließt, das kann aber noch werden). Mein erster Savefile funktionierte nicht mehr und im Haus bei Clementine´s Suche nach Medikamenten schwebten in Sarah´s Zimmer und im Bad plötzlich der Doc und weitere Charaktere einfach so in der Luft umher. Das sind Schnitzer, die erfahrenen Profis nicht unterlaufen sollten. Im Folgenden unten noch ein Screenshot meiner (Pseudo-)Entscheidungen. Daher: Spoilergefahr!

Ein paar Erläuterungen zu den Entscheidungen: Ich tippe darauf, dass mit mir etwa 90 Prozent der Spieler gar nicht bemerkten, dass sie Christa nicht mehr weitergeholfen haben. Oder ist ein Bug im Spiel? Würde ja nicht wundern. „Meine“ Clementine hat mit einem Stein nach den Bösewichtern geworfen, was Christa nutzte um Land zu gewinnen. Wie hätte man ihr noch zusätzlich helfen können? Ich weiß es nicht. Der Gnadenschuss für den Hund ist Ehrensache, da wundert es mich eher, dass diese Entscheidung überhaupt in der Liste auftaucht - was auch ein Hinweis auf die Güte der Entscheidungsfindungen in The Walking Dead Staffel 2 sein mag. Der Konflikt um das Wasser ist natürlich keiner und hat hier auch nichts verloren, weil er zu 100 Prozent irrelevant für die Story ist. Gut, Clementine wirkte dadurch, dass sie in „meinem“ Spiel dem Mann Wasser hab, humaner, aber…who cares? Ähnliches gilt für die Entschuldigung von Nick, die „meine“ Clementine natürlich akzeptierte. Warum auch nicht? Hier wundern mich die zickigen rund 31 Prozent, die Nick auflaufen ließen. Dennoch hätte ich Pete gerettet, wenn ich nicht so hektisch herumgeklickt hätte in den wenigen Sekunden; da traf ich unwissentlich nicht die Entscheidung, die ich gerne getroffen hätte. Wobei: Wie groß ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass der hier Überlebende auch in der dritten Episode noch unter uns weilt? Eben.