Ein Spionage-RPG im Gewand eines Third-Person-Shooters! Ein Sega-Game, entwickelt von Obsidian, die können es doch! Und es wurde massiv über Monate von der Fachpresse (hüstel) mit großem Tralalala über den Klee gelobt, dann MUSS es doch monumental sein (röchel)! Und, war das 2010 veröffentlichte Alpha Protocol gut? Nö. Sondern ein verpasste Chance für ein großes Spiel, das letztlich nicht mehr leistete als einem mächtig auf den Zeiger zu gehen.

Die Story ist kurz erzählt: Islamistische Terroristen zerstören ein Passagierflugzeug. Der fiktive US-Geheimdienst Alpha Protocol schickt seinen Agenten Michael Thorton nach Saudi-Arabien, um die Hintermänner des Anschlags zu eliminieren oder zu verhaften. Und dann überschlagen sich die Ereignisse (na ja). Aber davon habe ich nicht mehr viel mitbekommen, da ich trotz meiner Engelsgeduld vor lauter Ärger meinen Dienst bei Alpha Protocol quittierte. Dabei waren die Voraussetzungen für einen gelungenes Spiel sehr gut: Ein westliches Pendant zu Metal Gear Solid mit leichtem James Bond-Einschlag, Rollenspielelementen und Entscheidungsfreiheit in Dialogen, die sogar tatsächlich einen spürbaren Einfluss auf das weitere Spielgeschehen hatten.  Und es blieb die Wahl, ob man lieber annähernd gewaltfrei und schleichend seinen Missionen bewältigen möchte oder aber mit gezückter Wumme breitbeinig alles plattmacht.

Sieht soweit ganz gut aus. Erschießt man jedoch die beiden Bösewichter, werden sie gegen alle Gesetze der Schwerkraft wohl mit fünf Rückwärtsrollen gen Himmel schweben.

Und was machte Alpha Protocol dann falsch? Leider so gut wie alles. Das Positive zuerst: Die Spieltiefe. Mehr gibt es leider nicht zu erwähnen. Dafür ist die Liste der Mängel und Ärgernisse umso länger. Fangen wir bei der Grafik an: Die verwendete Unreal 3-Engine ist nicht wiederzuerkennen, so schlecht wurde sie umgesetzt. Clippingfehler sind noch verzeihlich, aber wenn die Gesetze der Physik in einem Spiel, das sich selbst recht ernst nimmt, völlig außer Kraft gesetzt werden, wird es lächerlich. Bei den Ragdoll-Effekten musste man schon laut lachen: Ein Schuss in den Arm und der Gegner fliegt mit drei Salti 50 Meter weit. Und steht dann wieder auf als wäre nichts gewesen. Die Einrichtung ist dagegen lächerlicherweise nicht zerstörbar. Eine nennenswerte KI taucht in Alpha Protocol nicht auf. Warum sollte der Gegner auch in Deckung gehen, wenn man auf ihn schießt, obwohl er direkt hinter einer Kiste steht? Genau: Weil es noch drei Millionen Klone von ihm gibt. Man schießt nämlich zu gefühlten 90 Prozent auf den immer gleichen Glatzkopf.

Alpha Protocol ist ein Beispiel für das Versagen der Qualitätskontrolle auf mehreren Ebenen. Sega hat wohl vor lauter Geiz das Spiel nicht ordentlich geprüft. Obsidian verzichtete wahrscheinlich ganz auf eine Kontrolle. Und was die Redakteure in den Fachmagazinen dazu getrieben hat, Alpha Protocol vorab in den Himmel zu loben (trotz diverser Anspielssessions) ist entweder ein Beweis für die um sich greifende Inkompetenz (woran ich nicht glaube) oder aber vorauseilender Gehorsam und eine unangenehme Unterwürfigkeit gegenüber Sega als Anzeigenkunden (was ich befürchte). Verkauft habe ich es bei ebay rund zwei Wochen nach dem Release und habe dafür noch ein paar Euro bekommen. Mehr ist es auch nicht wert.

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