Ein wenig erinnert mich Sleeping Dogs an Bayer Leverkusen. Vizemeisterschaften, wo man nur hinschaut, aber in keinem Wettbewerb oder Kategorie reicht es zur Krone. Silbermedaillen pflastern den Weg und ähnlich wie damals bei Leverkusen mit Ballack, Ze Roberto und Co. gibt es auch bei Sleeping Dogs diese ganz großen magischen Momente, bei denen ich dachte, jetzt geht es aber hoch zum Olymp. Bevor dann doch wieder etwas dazwischenkam. Wie die abgeschliffenen Ecken und Kanten einer spannenden und guten erzählten Story, die aber offenbar nicht die Grenzen des Mainstreams sprengen durfte. An der Stelle, bei der im gnadenlosen Spec Ops: The Line die Psyche des Protagonisten gesprengt wird, läuft bei Sleeping Dogs schon der Abspann.
Vielleicht leuchtet der Vergleich mit Spec Ops: The Line nicht direkt ein, er macht aber meiner Auffassung nach trotzdem Sinn. Denn auch bei Sleeping Dogs bewegen wir uns mit dem Hauptcharakter Wei Shen immer an den Grenzen des Wahnsinns, nicht zuletzt aufgrund der unkontrollierten Gewaltspirale, der er ausgesetzt wird. Während Yager bei Spec Ops: The Line mit dem infernalen Ende einen konsequenten Schlussstrich zog, bereiten Entwickler United Front und Publisher Square Enix eine Fortsetzung von Sleeping Dogs elegant vor. Unter dieser Voraussetzung braucht Wei Shen noch einen Rest an gesundem Menschenverstand, zumindest wenn das Sequel mit ähnlicher Tonalität erzählt werden soll. Dabei ist es, unter der Prämisse des gesunden Menschenverstandes, schon verwunderlich, wie robust Wei Shen´s Psyche ist. Er watet knietief durch ein Ozean an Blut und Gewalt und verliert mehr als nur einen Freund. Am Ende ist er trotzdem der gleiche Mensch wie zu Beginn des Spiels. Deswegen gibt es für die Charakterentwicklung in Sleeping Dogs nur eine Silbermedaille, denn es ist nicht konsequent, wenn Wei Shen ohne pschische Dellen und Furchen seinen Job erledigt. Gold verdienen ebenso nicht die Nebencharaktere, die durchaus interessant sind, aber deren Persönlichkeit nie über ihre Funktion im Spiel hinausgeht. Uncle Po beispielsweise hätte das Zeug zum leuchtenden Triadenpaten, ist aber letztlich nur ein alternder Boss mit einer viel zu leicht zu berechnenden Halbwertszeit.
Alleine gegen alle. Wer das Kampfsystem verinnerlicht hat, kämpft mit leuchtenden Augen. Die anderen verzweifeln.
Apropos leuchten: Wenn es hart auf hart kommt, was öfters der Fall ist, strahlen die sehr anspruchsvollen Fights als zentrales Spielelement in Sleeping Dogs sogar eine unverhoffte Schönheit aus. Trifft man mit Wei Shen den richtigen Rhythmus zwischen Konter und effektiver Angriffscombo, ähnelt der Kampfstil mehr einem streng choreographierten Ballett als einer dumpfen Prügelei. Das könnte zur Goldmedaille reichen und das hätte es auch locker, gäbe es da nicht Mülltonnen, Telefonzellen und weitere Objekte, die für einen Schlussmove – um es harmlos zu betiteln – eingesetzt werden können. Bezieht man die Umgebung mit ein, wird es bei Sleeping Dogs richtig hässlich, leider.
Im späteren Verlauf greifen wir öfters zur Knarre und wenn man diese Konfrontationen mit in die Fight-Schublade packen möchte, ist das Spiel mit Silber noch gut bedient. Die Ballereien sind absoluter Third-Person-Shooter Durchschnitt. Wirklich schlechtes kann man nicht sagen, aber auch weder das Deckungssystem noch das Aiming loben. Man schießt sich halt so durch. Schade, denn im Gegensatz zu manchem Faustkampf, der mit aller Macht in die Story gedrückt wurde, sind die Gründe und Motivationen für die Schießereien nachvollziehbar (nach Videogame-Maßstäben, natürlich). Ebenso wie die Möglichkeiten, Wei Shen mit Upgrades zu versorgen. Das System ist einfach, linear, aber sinnvoll. Sleeping Dogs ist schließlich kein Rollenspiel. Dafür erweisen sich die zusätzlichen Combos und Fähigkeiten im späteren Verlauf als sehr nützlich. Kritikpunkt an dieser Stelle: Mit den Upgrades zwingen die Entwickler den Gamer förmlich dazu, ordentlich Zeit in die Nebenmissionen zu stecken, denn dort lassen sich die Erfahrungs- und Ansehenspunkte gewinnen, die wir später einsetzen.
Sleeping Dogs ist kein Skyrim, wie man hier sieht. Die Upgrades wurden dennoch clever in das Spiel integriert und verbessern spürbar die Fähigkeiten von Wei Shen.
Anspruchsvoll ist Sleeping Dogs jederzeit und das sollte man dem Spiel zugute halten. Während Gut und Böse im weiteren Verlauf des Spiels kaum noch auseinander zu halten sind, gewinnt Wei Shen zusehends an Stärke und der Spieler immer mehr an Vertrauen in das Gameplay. Vielen ging es so, das nicht nur Hongkong als Setting fremd war, sondern auch der Weg zum Ziel, mal drei Kämpfe in Folge zu gewinnen, ohne sich zuvor mit den temporären Upgrades aus Teeladen, Supermarkt und Puff (!) eingedeckt zu haben. Es ist eine Frage der Übung und des Willens. Am Ende wird man belohnt, weil all die feinen Combos später sehr leicht von der Hand gehen. Und umso besser ich Wei Shen zu beherrschen lernte, desto tiefer tauchte ich auch in die Story ein. Der Mix aus Polizei- und Undercover-Triadenmissionen, die sich gegen Ende hin überlappen, ist hervorragend konstruiert und erzählt, wenn nur nicht das Spec Ops: The Line-ABER wäre, siehe oben.
Nicht zu vergessen: Sleeping Dogs ist ein Open World-Game. Zum einen muss Publisher Square Enix mit diesem dämlichen GTA IV-Killer-Geschwätz leben, zum anderen mit weiteren genrespezifischen Vorurteilen kämpfen. Wie etwa schlecht erzählten Geschichten, was hier definitiv nicht zutrifft. Zudem seien die Städte zwar riesig, dafür aber nicht voller Leben. Mag sein, dass auch Sleeping Dogs kein Abbild der städtischen Hongkong-Realität ist. Na und? Der Nachtmarkt und viele andere Locations wie Tempel und Friedhöfe atmen verdammt viel Atmosphäre. Andere Open World-Games können sich davon weiß Gott eine Scheibe abschneiden. Ja, auch du, GTA IV! Und warum gibt es dann nur die Open World-Silbermedaille und schon wieder kein Gold? Die Antwort: Weil Sleeping Dogs dem Genre nichts, aber auch gar nichts Neues hinzufügt. Es gibt keinen nennenswerten Makel, aber auch keine neue Idee. Dafür muss man Sleeping Dogs nicht kritisieren, man braucht es aber ebenso weder in den Himmel zu loben noch mit Innovationspreisen bewerfen. Es ist alles bekannt und gut so. Vielleicht sollten wir nur das Genre anders betiteln. DayZ ist zum Beispiel viel mehr Open World als Sleeping Dogs. Wo Wei Shen in einer geskripteten Open World sein bitteres Abenteuer erlebt, bietet uns DayZ eben eine neuartige usergenerated Open World. Oder so. Jedenfalls sollte man den Machern von Sleeping Dogs nicht vorwerfen, dass sie ihr Handwerk verstehen, auch wenn der Open World-Zug schon eine Station weiter gefahren ist.
Hier geht es zum ersten Teil des Reviews: Sleeping Dogs: Hack´n Slay
Hier geht es zum zweiten Teil des Reviews: Sleeping Dogs: Hongkong